2.3.3.1 Allgemeines

 

Rz. 52

Für die Entgeltfortzahlung gilt das Prinzip der Monokausalität, d. h. die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit muss die einzige Ursache für die Arbeitsverhinderung sein, sog. Monokausalität.[1] Der erkrankte Arbeitnehmer soll nicht mehr erhalten, als er im Fall seiner Gesundheit bekommen würde.[2] Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann zugunsten des Arbeitnehmers hiervon abgewichen werden.[3]

Im Grundsatz besteht daher kein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer im Fall der Nichterkrankung aus anderen Gründen nicht gearbeitet und kein Entgelt erhalten hätte.[4] Liegt ein Fall der Doppel- oder Mehrfachkausalität für den Arbeitsausfall vor, entfällt in der Regel der Anspruch auf Entgeltfortzahlung. So hat der Arbeitnehmer für einen arbeitsfreien, nicht vergüteten Tag, der in den Zeitraum der Erkrankung fällt, keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.[5] Der Arbeitnehmer kann gleichwohl nach einer anderen Anspruchsgrundlage einen Anspruch auf Vergütung haben.[6]

Von den Fällen der Doppelkausalität ist die Frage eines hypothetischen Kausalverlaufs abzugrenzen. Eine hypothetische "Ersatzursache" ist gegeben, wenn ein Kausalverlauf ohne Arbeitsunfähigkeit unterstellt wird und der Anspruch auf Lohnzahlung aus anderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen entfallen wäre. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung setzt nicht voraus, dass bei fehlender Krankheit der Arbeitnehmer kein weiteres hypothetisches Arbeitshindernis gesetzt hätte. Es ist nur darauf abzustellen, ob bereits bestehende andere Ursachen zu einem Arbeitsausfall führen würden.[7]

[1] BAG, Urteil v. 22.8.2001, 5 AZR 699/99, AP Nr. 11 zu § 3 EFZG.
[2] BAG, Urteil v. 22.8.1967, 1 AZR 100/66, AP Nr. 42 zu § 1 ArbKrankhG.
[3] BAG, Urteil v. 9.10.2002, 5 AZR 356/01, AP Nr. 63 zu § 4 EFZG.
[4] Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 83; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, 5. Aufl. 2000, § 3 EFZG, Rz. 56.
[5] Ausführlich ErfK/Reinhard, 24. Aufl. 2024, § 3 EFZG, Rz. 22.
[6] Zu Beispielfällen siehe 2.3.3.2.
[7] BAG, Urteil v. 1.10.1991, 1 AZR 147/91, AP Nr. 121 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, DB 1992, 43; BAG, Urteil v. 4.12.2002, 5 AZR 494/01, AP Nr. 17 zu § 3 EFFZG,

Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, 5. Aufl. 2000, § 3 EFZG, Rz. 59.

2.3.3.2 Einzelfälle

In den folgenden, in der Rechtsprechung häufig behandelten Fällen stellt sich typischerweise die Frage der Kausalität:

2.3.3.2.1 Altersteilzeit

 

Rz. 53

Haben die Vertragsparteien im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung das in der Praxis typische "Blockmodell" mit einer Arbeits- und einer Freistellungsphase gewählt, erhält der Arbeitnehmer im Fall seiner Erkrankung während der Freistellungsphase keine Entgeltfortzahlung.[1] In Ermangelung einer Arbeitspflicht kann der Arbeitnehmer nicht mehr arbeitsunfähig werden. Sein Anspruch auf Krankengeld ruht in dieser Zeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 SGB V). Der Arbeitnehmer verliert dennoch nicht seinen Anspruch auf seine Bezüge; vielmehr besteht sein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis fort. Das Prinzip "kein Lohn ohne Arbeit" gilt in der Freistellungsphase nicht.

Erkrankt der Arbeitnehmer während der Arbeitsphase, hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach den allgemeinen Grundsätzen.

[1] Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 37; vgl. auch Debler, NZA 2001, 1285.

2.3.3.2.2 Annahmeverzug

 

Rz. 54

Befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, etwa nach Ausspruch einer unwirksamen Kündigung, hat der Arbeitnehmer auch ohne Arbeitsleistung Anspruch auf sein Arbeitsentgelt (§ 615 Satz 1 BGB). Erkrankt der Arbeitnehmer während eines solchen Zeitraums, endet der Annahmeverzug aufgrund der Arbeitsunfähigkeit (§ 297 BGB). Ansprüche des Arbeitnehmers richten sich nunmehr nach dem EFZG, d. h. er hat Anspruch auf Entgeltfortzahlung unter den gesetzlichen Voraussetzungen.[1]

[1] ErfK/Reinhard, 24. Aufl. 2024, § 3 EFZG, Rz. 21; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, 5. Aufl. 2000, § 3 EFZG, Rz. 61; Vogelsang, Entgeltfortzahlung, 2003, Rz. 96.

2.3.3.2.3 Arbeitsausfall

 

Rz. 55

Zwischen den Parteien kann individual- oder kollektivvertraglich vereinbart sein, dass die Arbeit an bestimmten Tagen ohne Lohnausgleich entfällt[1] oder an anderen Tagen nach- oder vorgeleistet wird[2], etwa als Ausgleich für Freistellungen vor oder nach Feiertagen. Erkrankt der Arbeitnehmer dann im Zeitraum der Freistellung, erhält er keine Entgeltfortzahlung. Denn an den jeweiligen Tagen bestanden auf Grund der besonderen Vereinbarung weder eine Arbeits- noch eine Vergütungspflicht, sodass der Arbeitnehmer keinen krankheitsbedingten Verdienstausfall erleidet.

 

Rz. 56

Beruht der Arbeitsausfall jedoch auf Umständen, die in die Risikosphäre des Arbeitgebers fallen, wie Betriebsstörungen, Witterungseinflüsse, Lieferengpässe oder sonstige betriebsbedingte Ursachen, ist der Arbeitgeber nach der Betriebsrisikolehre grundsätzlich zur Entgeltfortzahlung verpflichtet (§ 615 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BGB). Entsprechend hat ein Arbeitnehmer, der in diesem Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt, auch einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG.[3] Denn der Entgeltanspruch entfällt hier allein wegen der krankhe...

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