Rz. 22

Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist stets das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, dessen tatsächliche Voraussetzungen der Arbeitnehmer, der die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall fordert, im Streitfall darzulegen und zu beweisen hat. Grundsätzlich ist daher erforderlich, dass die Parteien ein wirksames Arbeitsverhältnis begründet und (noch) nicht beendet haben.

 

Rz. 23

Problematisch sind die Fälle, in denen ein Arbeitsvertrag nicht wirksam zustande gekommen ist oder wirksam angefochten wurde, das Arbeitsverhältnis aber in Vollzug gesetzt wurde (fehlerhaftes oder faktisches Arbeitsverhältnis). In diesen Fällen kann ein Entgeltfortzahlungsanspruch ausnahmsweise auch ohne wirksames Arbeitsverhältnis begründet sein.[1] Die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags kann auf einer Vielzahl von Gründen beruhen.

Nach Invollzugsetzen des Arbeitsverhältnisses nimmt die Rechtsprechung nach den Grundsätzen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses an, dass die Parteien eine Rechtsunwirksamkeit oder Nichtigkeit des Vertrags nicht mehr rückwirkend geltend machen können.[2] Insbesondere würden Arbeitnehmer benachteiligt, wenn ihnen die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften vorenthalten blieben.[3] Dabei weicht die Rechtsprechung grundsätzlich auch von der allgemeinen Regel der Rückwirkung der Anfechtung (§ 142 BGB) aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes ab. Nichtigkeit und Anfechtung haben daher keine Rückwirkung auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses zur Folge, sondern die Zeiten der tatsächlichen Beschäftigung im faktischen Arbeitsverhältnis werden behandelt, als hätte ein wirksames Arbeitsverhältnis bestanden. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften ist aber stets, dass das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wurde. Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung gar nicht erbracht, besteht kein Grund, von den allgemeinen Rückabwicklungsvorschriften abzuweichen.[4]

 
Praxis-Beispiel

Arbeitnehmer A ist bei Abschluss des Arbeitsvertrags unerkannt geschäftsunfähig. Er nimmt seine Arbeitsleistung jedoch ordnungsgemäß für einen Zeitraum von 7 Monaten auf. Im 3. Beschäftigungsmonat erkrankt er für 3 Wochen, arbeitet anschließend jedoch weiter. Als der Arbeitgeber nach 7 Monaten von der Geschäftsunfähigkeit erfährt, möchte er das Arbeitsverhältnis rückabwickeln. Zumindest für den Krankheitszeitraum fordert er die erbrachte Entgeltfortzahlung zurück. Der Arbeitgeber hat hierauf keinen Anspruch. Für den vollen Zeitraum von 7 Monaten ist das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt worden. Die in diesen Monaten liegenden Krankheitszeiträume sind daher nach den arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften abzuwickeln. Die Entgeltfortzahlung ist nach § 3 EFZG insofern mit Rechtsgrund erfolgt.

 

Rz. 24

Das BAG hält eine Abweichung von den allgemeinen Rückabwicklungsvorschriften auch im Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers jedoch dann nicht für erforderlich, wenn das Arbeitsverhältnis während der Erkrankung oder im unmittelbaren Anschluss beendet wird.[5] Denn durch die Krankheit wurde das Arbeitsverhältnis außer Vollzug gesetzt und eine Rückwirkung bis zum Zeitpunkt der letzten tatsächlichen Arbeitsleistung bereitet keine Schwierigkeiten. Zumindest dann, wenn der Arbeitnehmer durch eine arglistige Täuschung den Abschluss des Arbeitsverhältnisses erschlichen und der Arbeitgeber den Vertragsschluss wirksam angefochten hat, gilt der Vertrag als von Anfang an (ex tunc) nichtig mit der Folge, dass für Zeiten des nicht praktizierten Vertrags aus Gründen der Arbeitsunfähigkeit ein Lohnanspruch ausscheidet.[6] Denn der arglistig Handelnde kann nicht darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber auch für Zeiten, in denen der Vertrag nicht praktiziert worden ist, den Vertrag als rechtsbeständig behandelt und Entgeltfortzahlung leistet. Hat der Arbeitgeber vor Erklärung der Anfechtung bereits Entgeltfortzahlung geleistet, kann er das Geleistete nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 BGB) vom Arbeitnehmer zurückfordern[7].

 
Praxis-Beispiel

Arbeitnehmer A hat die im Rahmen der Bewerbung vorgelegten Arbeitszeugnisse gefälscht. Nach einer 3-monatigen Beschäftigung erkrankt er. Der Arbeitgeber wundert sich über die Umstände der Erkrankung und meldet sich beim vorherigen Arbeitgeber des A, um Erkundigungen einzuholen. Dabei stellt sich die Fälschung der Zeugnisse heraus. Noch während der Krankheit ficht der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen arglistiger Täuschung an. Er muss für die 3 Monate der verwertbaren Arbeitsleistung des A Lohn zahlen. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung steht A nicht zu.

[1] Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, EFZG, 5. Aufl. 2000, § 3 EFZG, Rz. 17; Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 29.
[2] BAG, Urteil v. 27.7.2010, 3 AZR 317/08, AP Nr. 3 zu § 4 BBiG, DB 2011, 943.
[3] Vogelsang, Entgeltfortzahlung, 2003, Rz. 44; Wedde/Kunz, EFZG, 4. Aufl. 2015, § 1 EFZG, Rz. 25.
[4] BAG, Urteil v. 27.7.2010, 3 AZR 317/08, AP Nr. 3 zu § 4 BBiG, DB 2011, 943.

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