Rz. 20

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung setzt folgende Tatbestandsmerkmale voraus:

  • Bestehen eines Arbeitsverhältnisses,
  • Arbeitsverhinderung aufgrund von Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs,
  • kein Verschulden des Arbeitnehmers,
  • Erfüllung der 4-wöchigen Wartefrist.

2.1 Anspruchsberechtigte

 

Rz. 21

Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall haben alle Arbeitnehmer i. S. d. § 1 Abs. 2 EFZG. Dies gilt unabhängig davon, welche Art von Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Unter den Anwendungsbereich fallen daher sowohl Arbeiter als auch Angestellte, unbefristet, befristet und zur Berufsausbildung Beschäftigte.[1] Gleiches gilt für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer.[2] Bei nur kurzfristig Beschäftigten (z. B. Aushilfen für ein Saisongeschäft) kann einem Entgeltfortzahlungsanspruch jedoch ggf. die Wartefrist des § 3 Abs. 3 entgegenstehen. Denn ein Recht auf Entgeltfortzahlung kann erstmalig nach einer Beschäftigungsfrist von 4 Wochen geltend gemacht werden.[3]

Werden Rentner als Arbeitnehmer beschäftigt, haben auch sie einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dieser ist unabhängig davon, ob sie während der Beschäftigung eine Altersrente oder Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen haben und insoweit bereits finanziell abgesichert sind.

[1] Vgl. Springer, § 1 EFZG, Rz. 4 ff.
[2] Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 36; Kunz/Wedde, EFZR, 2. Aufl. 2005, § 3 EFZG, Rz. 14.

2.1.1 Bestehen eines Arbeitsverhältnisses

 

Rz. 22

Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist stets das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, dessen tatsächliche Voraussetzungen der Arbeitnehmer, der die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall fordert, im Streitfall darzulegen und zu beweisen hat. Grundsätzlich ist daher erforderlich, dass die Parteien ein wirksames Arbeitsverhältnis begründet und (noch) nicht beendet haben.

 

Rz. 23

Problematisch sind die Fälle, in denen ein Arbeitsvertrag nicht wirksam zustande gekommen ist oder wirksam angefochten wurde, das Arbeitsverhältnis aber in Vollzug gesetzt wurde (fehlerhaftes oder faktisches Arbeitsverhältnis). In diesen Fällen kann ein Entgeltfortzahlungsanspruch ausnahmsweise auch ohne wirksames Arbeitsverhältnis begründet sein.[1] Die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags kann auf einer Vielzahl von Gründen beruhen.

Nach Invollzugsetzen des Arbeitsverhältnisses nimmt die Rechtsprechung nach den Grundsätzen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses an, dass die Parteien eine Rechtsunwirksamkeit oder Nichtigkeit des Vertrags nicht mehr rückwirkend geltend machen können.[2] Insbesondere würden Arbeitnehmer benachteiligt, wenn ihnen die arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften vorenthalten blieben.[3] Dabei weicht die Rechtsprechung grundsätzlich auch von der allgemeinen Regel der Rückwirkung der Anfechtung (§ 142 BGB) aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes ab. Nichtigkeit und Anfechtung haben daher keine Rückwirkung auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses zur Folge, sondern die Zeiten der tatsächlichen Beschäftigung im faktischen Arbeitsverhältnis werden behandelt, als hätte ein wirksames Arbeitsverhältnis bestanden. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften ist aber stets, dass das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wurde. Hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung gar nicht erbracht, besteht kein Grund, von den allgemeinen Rückabwicklungsvorschriften abzuweichen.[4]

 
Praxis-Beispiel

Arbeitnehmer A ist bei Abschluss des Arbeitsvertrags unerkannt geschäftsunfähig. Er nimmt seine Arbeitsleistung jedoch ordnungsgemäß für einen Zeitraum von 7 Monaten auf. Im 3. Beschäftigungsmonat erkrankt er für 3 Wochen, arbeitet anschließend jedoch weiter. Als der Arbeitgeber nach 7 Monaten von der Geschäftsunfähigkeit erfährt, möchte er das Arbeitsverhältnis rückabwickeln. Zumindest für den Krankheitszeitraum fordert er die erbrachte Entgeltfortzahlung zurück. Der Arbeitgeber hat hierauf keinen Anspruch. Für den vollen Zeitraum von 7 Monaten ist das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt worden. Die in diesen Monaten liegenden Krankheitszeiträume sind daher nach den arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften abzuwickeln. Die Entgeltfortzahlung ist nach § 3 EFZG insofern mit Rechtsgrund erfolgt.

 

Rz. 24

Das BAG hält eine Abweichung von den allgemeinen Rückabwicklungsvorschriften auch im Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers jedoch dann nicht für erforderlich, wenn das Arbeitsverhältnis während der Erkrankung oder im unmittelbaren Anschluss beendet wird.[5] Denn durch die Krankheit wurde das Arbeitsverhältnis außer Vollzug gesetzt und eine Rückwirkung bis zum Zeitpunkt der letzten tatsächlichen Arbeitsleistung bereitet keine Schwierigkeiten. Zumindest dann, wenn der Arbeitnehmer durch eine arglistige Täuschung den Abschluss des Arbeitsverhältnisses erschlichen und der Arbeitgeber den Vertragsschluss wirksam angefochten hat, gilt der Vertrag als von Anfang an (ex tunc) nichtig mit der Folge, dass für Zeiten des nicht pr...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge