Rz. 4

Die Rechtsnatur des Lohnfortzahlungsanspruchs ist umstritten. Dies liegt vorrangig an den unterschiedlichen Fassungen des § 3 EFZG in der Zeit von 1994 bis 1996 einerseits und seit 1996 andererseits. Die ursprüngliche Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG sah vor, dass der Arbeitnehmer im Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt "nicht verliert". Der originäre Lohnanspruch wurde daher aufrechterhalten. Von dieser Gestaltung ist der Gesetzgeber – zwangsläufig – abgewichen, als § 4 Abs. 1 EFZG für die Zeit vom 1.10.1996 bis zum 31.12.1998 eine Verringerung des Entgeltfortzahlungsanspruchs auf 80 % des Arbeitsentgelts vorsah. Zur Klarstellung wurde insofern ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung in § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG manifestiert.[1] Nachdem die Entgeltfortzahlung durch das Korrekturgesetz[2] wieder auf 100 % angehoben wurde, ist eine solche Klarstellung überflüssig geworden; gleichwohl hat der Gesetzgeber den Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht auf die alte Fassung zurückgeführt. Daher geht ein Großteil der Literatur nach wie vor davon aus, dass in § 3 EFZG ein eigenständiger Anspruch auf Entgeltfortzahlung begründet wird, der jedoch den Regeln des Arbeitsentgelts unterliegt.[3]

 

Rz. 5

Die Rechtsprechung[4] geht dagegen sogar für den Zeitraum 1.10.1996 bis 31.12.1998 davon aus, dass das Recht auf Entgeltfortzahlung keinen eigenständigen Anspruch darstellt, sondern nur entgegen dem Grundsatz "kein Lohn ohne Arbeit" den Anspruch auf Arbeitsentgelt aufrechterhält, wenn der Arbeitnehmer wegen Krankheit unverschuldet an der Arbeitserbringung verhindert ist.[5] Diese Ansicht ist jedenfalls für den Zeitraum ab dem 1.1.1999 zutreffend. Für sie spricht nicht nur, dass der Gesetzgeber mit dem Korrekturgesetz zur alten Gesetzeslage zurückkehren wollte. Sie schafft zudem eine konsistente dogmatische Grundlage für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Denn der Anspruch auf Entgeltfortzahlung unterliegt denselben rechtlichen Regeln, die für den Vergütungsanspruch gelten.[6] Hierzu im Folgenden:

[1] BT-Drucks. 13/4612 v. 10.5.1996 S. 15.
[2] BGBl. 1998 I S. 3843.
[3] Schmitt/Schmitt, EFZG, 9. Aufl. 2023, § 3 EFZG, Rz. 8, 252; Kunz/Wedde, EFZR, 2. Aufl. 2005, § 3 EFZG, Rz. 19 ff.
[4] Vgl. nur BAG, Urteil v. 16.1.2002, 5 AZR 430/00, AP Nr. 13 zu § 3 EntgeltFG, NZA 2002 S. 746.
[5] Ebenso ErfK/Reinhard, 24. Aufl. 2024, § 3 EFZG, Rz. 45; Treber, EFZG, 2. Aufl. 2007, § 3 EFZG, Rz. 5.
[6] BAG, Urteil v. 16.1.2002, 5 AZR 430/00, AP Nr. 13 zu § 3 EntgeltFG, NZA 2002, 746.

1.2.1 Fälligkeit, Erfüllungsort und Fristen

 

Rz. 6

Der aufrechterhaltene Vergütungsanspruch während der Arbeitsunfähigkeit teilt das rechtliche Schicksal des Vergütungsanspruchs. Er ist zunächst zu demselben Zeitpunkt fällig. Die Fälligkeit richtet sich daher vorrangig nach den speziellen arbeitsvertraglichen oder tarifvertraglichen Regelungen zur Fälligkeit.[1]

 
Praxis-Beispiel

Arbeitgeber Z zahlt an alle Beschäftigten jeweils zur Monatsmitte einen Abschlag von etwa 50 % des Monatslohns und – nach einer Abrechnung zum Monatsende – spätestens bis zum 3. Werktag des Folgemonats das restliche Gehalt. Arbeitnehmerin F ist seit dem 25.3. arbeitsunfähig fortlaufend erkrankt. Z ist der Ansicht, auf Grund der Arbeitsunfähigkeit sei er zu keiner Abschlagszahlung mehr verpflichtet, und will die Entgeltfortzahlung für April zum 3.5. überweisen. F hat einen Anspruch auf Abschlagszahlung, die sich nach der Fälligkeit der Lohnforderung richtet. Z muss daher am 15.4. einen Abschlag auf die Entgeltfortzahlung in Höhe von etwa 50 % leisten.

 

Rz. 7

Erfüllungsort ist wie beim Anspruch auf Vergütung im Regelfall der Betrieb des Arbeitgebers. Ist ausnahmsweise keine bargeldlose Überweisung vereinbart, muss der Arbeitnehmer – grundsätzlich auch bei Arbeitsunfähigkeit – seinen Lohn im Betrieb abholen. Abweichend von dem Grundsatz, dass der Entgeltfortzahlungsanspruch den Regeln des originären Lohnanspruchs folgt, wird man den Arbeitgeber jedoch für verpflichtet halten, auf seine Gefahr und seine Kosten die Entgeltfortzahlung an den Wohnort des Arbeitnehmers zu bringen, wenn diesem aufgrund der Krankheit das Abholen nicht zugemutet werden kann.[2]

 

Rz. 8

Unterliegt der Vergütungsanspruch vertraglichen, insbesondere tarifvertraglichen Ausschlussfristen, ist auch der Entgeltfortzahlungsanspruch fristgerecht geltend zu machen.[3] Nach einer Entscheidung des BAG[4] darf der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall seit dem 1.1.2015 in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns keiner Ausschlussfrist mehr unterworfen werden. Die Unabdingbarkeit des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 12 EFZG steht der Vereinbarung von Ausschlussfristen nicht entgegen.[5] Dabei muss die Ausschlussfrist sprachlich nicht ausdrücklich den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erfassen; wird der regelmäßige Lohn von der Frist erfasst, erstreckt sie sich auch auf die Entgeltfortzahlung.[6] Einzelvertragliche Ausschlussfristen in Formulararbeitsverträgen unterliegen einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB. Fr...

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