Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einer Prostituierten

 

Orientierungssatz

1. Nach § 28 p Abs. 1 SGB 4 prüft der Rentenversicherungsträger beim Arbeitgeber die Richtigkeit dessen Beitragszahlungen und Meldungen. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB 4 unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht.

2. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 S. 1 SGB 4. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn eine Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis nach Weisungen erfolgt und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte und die freie Verfügung über die eigene Arbeitskraft gekennzeichnet.

3. Bei Prostituierten werden diese Grundsätze durch das Prostitutionsgesetz modifiziert. § 3 ProstG enthält Vorgaben für die bei der Anwendung des § 7 Abs. 1 SGB 4 vorzunehmende Gewichtung der typusbildenden Merkmale. Nach der gesetzlichen Wertung stehen Prostitution als Beschäftigung und Prostitution als selbständige Tätigkeit gleichrangig nebeneinander.

4. Die Annahme einer abhängigen Beschäftigung bei einer Prostituierten setzt voraus, dass diese für das Bereithalten von sexuellen Diensten von einem Weisungsberechtigten entlohnt wird und in dessen Betrieb eingegliedert ist.

5. Fehlt es an diesen Voraussetzungen und ist darüber hinaus weder ein Dienstplan noch eine Arbeitszeit vorgegeben, so ist eine abhängige Beschäftigung und damit eine Beitragspflicht zu verneinen.

 

Normenkette

SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1; SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; SGB III § 25 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 7 Abs. 1 S. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 28p Abs. 1; ProstG § 3; SGG §§ 60, 128 Abs. 1 S. 1, § 159 Abs. 1 Nr. 2, § 183 S. 1, § 197a Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 1-2; StPO § 153 Abs. 1, § 265; StGB § 266a; VwGO § 154 Abs. 1

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. Oktober 2012 und der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2007 werden aufgehoben.

Die Beklagte hat die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 311.451,74 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte von der Klägerin zu Recht die Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Oktober 2003 zuzüglich Säumniszuschläge verlangt.

Die 1969 geborene Klägerin mietete im November 1997 in W. Räumlichkeiten in einem Gewerbeobjekt mit einer Gesamtfläche von ca. 160 m2 an. Hierzu gehörten auch die Räume der ehemaligen Gaststätte "M. u. M."", die sie abtrennte, um darin die Nachtbar "M." zu betreiben. Diesbezüglich hatte sie unter dem 25. September 1997 eine Schankwirtschaft als Gewerbe angemeldet. Unter dem 8. Oktober 1997 hatte sie zudem die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Schankwirtschaft mit einem gewünschten Beginn der Erlaubnis am 3. November 1997 beantragt. Die angegliederten Räume vermietete sie an R. J., der dort ausweislich einer Gewerbeanmeldung vom 16. Dezember 1997 seit dem 5. Januar 1998 einen Beherbergungsbetrieb mit sieben Betten betrieb. Zur Pension und zur Nachtbar gab es unterschiedliche Eingänge. Beide Betriebe waren durch eine feuerfeste Tür miteinander verbunden. Ab September 2001 war der Ehemann der Klägerin, R. F., Hausmeister der Nachtbar.

In der Nachtbar fanden in der Vergangenheit mehrere Kontrollen und Durchsuchungen statt, so u. a. in der Nacht vom 17. auf den 18. März 2004 durch die Steuerfahndung. Dabei wurden Prostituierte und deren Freier angetroffen. Durch die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes M. I wurde aufgrund dessen ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin eingeleitet.

Auf der Grundlage dieser Ermittlungen forderte die Beklagte von der Klägerin nach einem (unbeantworteten) Anhörungsschreiben vom 8. Juni 2002 mit Bescheid vom 19. Juli 2006 für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Oktober 2003 Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 220.605,24 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen für die Zeit vom 15. Februar 2002 bis zum 31. Mai 2006 in Höhe von 90.846,50 EUR, insgesamt also 311.451,74 EUR. Zur Begründung wies sie darauf hin, aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung habe sich ergeben, dass die Klägerin als Inhaberin der Nachtbar mehrere Arbeitnehmerinnen gegen Entgelt beschäftigt gehabt habe. Für einige der Arbeitnehmerinnen (Prostituierte) seien weder Beitragsanmeldungen vorgenommen und die entsprechenden Beiträge entrichtet, noch Jahresmeldungen erstellt worden.

Gegen den ihr am 21. Juli 2006 zugestellten Bescheid erhob die Klägerin am 28. Juli 2006 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, es sei zwar richtig, dass sich in der Nachtbar geleg...

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