Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auskunftspflicht Dritter. rechtswidriges Auskunftsersuchen gegenüber einem Unterhaltsverpflichteten. fehlender Leistungsbezug des Unterhaltsberechtigten. unzulässige Fragen im Fragebogen. rechtskräftiger Unterhaltstitel. Erfüllung der Unterhaltspflicht. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Eingriffsnorm des § 60 Abs 2 SGB 2 ist einer erweiternden Auslegung schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zugänglich.

2. Erhält ein Unterhaltsberechtigter keine SGB 2-Leistungen, besteht kein Auskunftsanspruch des SGB 2-Trägers gegen den Unterhaltspflichtigen nach § 60 Abs 2 SGB 2.

3. Benutzt der SGB 2-Leistungsträger zur Umsetzung seines Auskunftsbegehrens vorformulierte Fragebögen, dürfen sich die Fragen nur auf die Person des Unterhaltspflichtigen beziehen. Fragen zu Dritten (zB Einkommen des Partners), sind unzulässig und müssen nicht beantwortet werden. Wegen des Eingriffs in die informationelle Selbstbestimmung bleibt für eine sog geltungserhaltene Reduktion bei unzulässigen Fragen in der Regel kein Raum.

 

Orientierungssatz

Die Auskunft des Unterhaltspflichtigen ist auch nicht erforderlich iS des § 60 Abs 2 SGB 2, wenn der Unterhaltsanspruch durch einen familiengerichtlichen Vergleich bereits rechtskräftig tituliert ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.06.2016; Aktenzeichen B 14 AS 4/15 R)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Auskunftsanspruch des Beklagten gegenüber dem Kläger.

Die am ... 1971 geborene B. S. (im Folgenden: Kindesmutter) beantragte am 20. Juli 2010 erneut für sich und den am ... 1993 geborenen B. B. (im Folgenden: Unterhaltsberechtigter) Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Der Kläger ist Vater des Unterhaltsberechtigten. Im familienrechtlichen Verfahren 330 F 02199/08 vor dem Amtsgericht L. verlangte der Unterhaltsberechtigte, vertreten durch die Kindesmutter, vom Kläger die Zahlung von rückständigem Unterhalt. Nach einem Protokoll des Amtsgerichts L. kam es in diesem Verfahren zu einer vergleichsweisen Regelung der Unterhaltsfrage. Der Tenor des Vergleiches vom 28. Januar 2009 lautete wörtlich: 1. In Abänderung der Jugendamtsurkunde der Stadt L. vom 15. August 1997, Urkundsregisternummer ... /1997, verpflichtet sich der Beklagte einen rückständigen Kindesunterhalt betreffend den Zeitraum vom Juli 2008 bis Dezember 2008 in Höhe von 114,00 EUR an den Kläger, zu Händen der gesetzlichen Vertreterin zu zahlen.

2. Darüber hinaus verpflichtet sich der Beklagte in Abänderung der vorgenannten Unterhaltsverpflichtungsurkunde beginnend ab 1. Januar 2009 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 314,00 EUR an den Kläger, zu Händen der gesetzlichen Vertreterin und zwar auf das Konto bei der Sparkasse L., Kontonummer ..., Bankleitzahl ... zu zahlen.

Dem Beklagten war dieser Vergleich noch im Jahr 2009 bekannt geworden.

Mit Bescheid vom 26. Juli 2010 bewilligte der Beklagte der Kindesmutter für die Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 2010 Leistungen in Gesamthöhe von 458,55 EUR (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes: 279,28 EUR; Kosten für Unterkunft und Heizung 179,27 EUR). Für weitere Zeiträume ergaben sich Ansprüche der Kindesmutter in Höhe von 211,72 EUR (1. bis 13. Januar 2011) bzw. 252,46 EUR (14. bis 31. Januar 2011) und in Höhe von 445,55 EUR (Februar 2011). Für die Zeit vom 1. bis 13. Januar 2011 errechnete der Beklagte für den Unterhaltsberechtigten einen Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 0,02 EUR. Im Übrigen bewilligte der Beklagte dem Unterhaltsberechtigten keine weiteren Leistungen.

Ohne vorherige Anhörung erließ der Beklagte den Bescheid vom 23. Juli 2010 gegenüber dem Kläger und verlangte von ihm Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse gemäß § 60 Abs. 2 SGB II bis zum 16. August 2010. Dem Schreiben war ein umfangreicher Fragebogen beigefügt. Dieser enthielt Angaben zur Person, Fragen zum Einkommen, zu berufsbedingten Aufwendungen sowie zu Kindern. In einer eigenständigen durchgehenden Spalte des Fragebogens befand sich unter der Überschrift "Ehegatte" ein eigenständiger Beantwortungsbereich, der den Ehegatten - wie den Unterhaltsverpflichteten - zu Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorsah. Auf Bl. 101 bis Bl. 103 der Gerichtsakte wird ausdrücklich Bezug genommen.

Hiergegen legte der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, am 9. August 2010 Widerspruch ein und machte geltend: Er leiste aus dem bestandskräftigen familienrechtlichen Unterhaltsvergleich vom 28. Januar 2009 entsprechende Zahlungen an den Unterhaltsberechtigten. Für die Erforschung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse bestehe keine Rechtsgrundlage. Im angegriffenen Bescheid sei nicht einmal mitgeteilt worden, welche Lei...

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