Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittel. Versorgung eines unter dreijährigen Versicherten mit einem Therapiestuhl für die Benutzung in einer Kindertagesstätte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Zuständigkeitsklärung von Amts wegen bei allen Teilhabeleistungen. rechtliche Wirkungslosigkeit der Zurückleitung eines Antrags durch den zweitangegangenen Rehabilitationsträger. allgemeines Grundbedürfnis der Hinführung zur Schulfähigkeit bei Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfsmittel iS von § 55 Abs 2 Nr 1 Alt 1 SGB 9

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschrift des § 14 SGB 9 ist von Amts wegen bei allen Teilhabeleistungen zu beachten.

2. Durch die Antragsweiterleitung an den zweitangegangenen Rehabilitationsträger wird dieser gegenüber dem Antragsteller unabhängig von der materiellen Rechtslage bindend für die Leistungsentscheidung zuständig. Nur er hat den Versorgungsanspruch noch unter Berücksichtigung aller in der vorliegenden Bedarfssituation in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen. Eine nochmalige Weiter- bzw Zurückleitung des Antrags ist rechtlich wirkungslos.

3. Es kann offen bleiben, ob die (auch) durch Versorgung mit einem Therapiestuhl für die Kindertagesstätte angestrebte Hinführung zur Schulfähigkeit bei einem unter dreijährigen Versicherten als allgemeines Grundbedürfnis iS von § 33 Abs 1 S 1 Alt 3 SGB 5 bzw § 54 Abs 1 S 1 SGB 12 iVm den §§ 26 Abs 2 Nr 6, 31 Abs 1 Nr 3 SGB 9 zu verstehen ist, wenn - wie hier - jedenfalls Anspruch auf Eingliederungshilfe als Teilhabe gem § 54 Abs 1 S 1 SGB 12 iVm § 55 Abs 2 Nr 1 Alt 1 SGB 9 besteht.

4. Zu Hilfsmitteln iS von § 55 Abs 2 Nr 1 Alt 1 SGB 9 gehören solche, die über eine medizinische Zweckbestimmung hinausgehen und zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel und Einschränkungen zur gesamten Alltagsbewältigung beitragen. Sie haben die Funktion, dem behinderten Menschen den Kontakt mit seiner Umwelt sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und hierdurch insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 26. März 2015 wird abgeändert.

Die Beigeladene zu 1) wird bis zum Erlass eines bestandskräftigen Bescheides, einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache oder dem sonstigen Abschluss eines solchen Verfahrens im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig einen Therapiestuhl M. Größe 1 als Zweitversorgung für die Kindertagesstätte entsprechend der vertragsärztlichen Verordnung vom 27. Januar 2015 und dem Kostenvoranschlag vom 10. Februar 2015 zu gewähren.

Die Beigeladene zu 1) trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge.

 

Gründe

I.

Streitig ist die vorläufige Versorgung des Antragstellers mit einem Therapiestuhl M. Größe 1 für die Benutzung in einer Kindertagesstätte.

Bei dem im Juli 2012 geborenen und bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherten Antragsteller besteht bei einem Zustand nach Frühgeburt und intracerebraler Blutung mit Hydrocephalus u.a. eine Tetraspastik, Steh- und Gehunfähigkeit, eine Rumpfinstabilität sowie eine mangelnde Kopfkontrolle. Er wird über den Beigeladenen zu 2) betreut und wohnt seit Oktober 2012 im Haushalt seiner Pflegemutter und Vertreterin im vorliegenden Verfahren. Seit April 2014 ist dem Antragsteller die Pflegestufe II zuerkannt. Mit Wirkung vom 26. April 2014 stellte das zuständige Versorgungsamt bei ihm einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die Merkzeichen B, G, aG und H fest (Bescheid vom 15. September 2014). Unter dem 5. Mai 2014 schätzte die Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin Dr. M. in ihrer amtsärztlichen Stellungnahme ein, der erforderliche Förderbedarf des Antragstellers werde mit hoher Wahrscheinlichkeit bis zur Einschulung bestehen. Bei ihm liege ein globaler Entwicklungsrückstand von mindestens einem Lebensjahr vor. Mit Bescheid vom 20. Mai 2014 gewährte die Beigeladene zu 1) dem Antragsteller daraufhin zwecks Besuchs der integrativen Kindertagesstätte "S." in L. für die Zeit vom 1. August 2014 bis zum 31. Juli 2015 Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) in Form einer Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

Unter dem 28. August 2014 verordnete der Orthopäde Dr. W. dem Antragsteller jeweils einen Therapiestuhl M. für zu Hause und die Kindertagesstätte (Zweitversorgung). Mit Schreiben vom 4. September 2014 leitete die Antragsgegnerin den Antrag auf Zweitversorgung an den (örtlichen) Träger der Sozialhilfe weiter und führte unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus, dass sie die Kosten für die Versorgung des Antragstellers in der Häuslichkeit und im Wohnumfeld übernehme. Bei der beantragten Zweitversorgung handle es sic...

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