Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherung. Befreiung von der Versicherungspflicht. angestellter juristischer Mitarbeiter. nichtanwaltlicher Arbeitgeber. rechtsanwaltliche Tätigkeit. Vierkriterientheorie. Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Mitglied einer berufsständischen Kammer. Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des BGH, EuGH und BVerfG

 

Orientierungssatz

1. Der eindeutige Wortlaut des § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 kann nicht in einem anderen Sinn (weit) ausgelegt werden; insbesondere genügt für einen Anspruch auf Befreiung nicht bereits, dass die Tätigkeit wesentliche Elemente einer rechtsanwaltlichen Tätigkeit aufweist, also rechtsberatend, -entscheidend, -vermittelnd und -gestaltend (sog Vierkriterientheorie) ist.

2. Für eine Befreiung genügt nicht bereits, dass die Versicherte als selbstständige Rechtsanwältin zugelassen und damit gleichzeitig Mitglied einer berufsständischen Kammer geworden ist.

3. Beantragt ein Versicherter bewusst nicht das, was er eigentlich anstrebt und was ihm bereits seit Jahren möglich ist - die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für die angestellte Tätigkeit (hier als "Juristische Mitarbeiterin"), für die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht begehrt wird -, und umgeht er damit eine Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen wegen der zu befreienden Tätigkeit, muss er dieses bewusst gewählte Vorgehen gegen sich gelten lassen. Es ist nicht möglich, im Falle einer Nichtzulassung zur Rechtsanwaltschaft den Rechtsweg zu ordentlichen Gerichten und ggfls zum Bundesverfassungsgericht und/oder zum Europäischen Gerichtshof über das Befreiungsverfahren zu umgehen und die für die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht notwendige Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch (scheinbare) Aufnahme einer (nebenberuflichen) selbständigen anwaltlichen Tätigkeit zu "bewirken".

4. Die Pflicht auf Stellung eines Antrags auf Zulassung zur Anwaltschaft und die daraus resultierende Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer muss in einem weiteren Sinn verstanden werden: Es muss eine Tätigkeit ausgeübt werden, deren rechtmäßige Ausübung gesetzlich zwingend die Zulassung zur Anwaltschaft und damit zugleich zwingend die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer nach sich zieht. Wer als juristischer Mitarbeiter für seinen Arbeitgeber tätig wird, bedarf keiner Zulassung zur Anwaltschaft, um diese Arbeit recht- und gesetzmäßig auszuüben.

5. Dass die abhängige Beschäftigung eines (wegen einer anderen Tätigkeit) zugelassenen Anwalts bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber keine anwaltliche Tätigkeit ist, entspricht der Rechtsprechung des EuGH, des BVerfG sowie des BGH.

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 22.07.2016; Aktenzeichen 1 BvR 2534/14)

BSG (Urteil vom 03.04.2014; Aktenzeichen B 5 RE 13/14 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 7.2.2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Die 1972 geborene Klägerin ist Volljuristin (Erste Juristische Staatsprüfung 1997; Zweite Juristische Staatsprüfung 1999). Sie bewarb sich im Herbst 1999 auf eine von der damaligen B. K. und J. Consulting GmbH (jetzt: B. J1. GmbH; fortan: B.), einem Beratungsunternehmen für betriebliche Altersversorgung und Vergütung, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgeschriebene Stelle für einen "Jurist/in in dem Bereich der betrieblichen Altersversorgung". Die Klägerin wurde zum 1.2.2000 von der B. eingestellt und ist seither in deren Rechtsabteilung als "juristische Mitarbeiterin" beschäftigt (Anstellungsvertrag vom 26.1.2000). Die Rechtsabteilung des Unternehmens besteht ausschließlich aus Volljuristen. § 6 des Arbeitsvertrags regelt, dass entgeltliche oder unentgeltliche Nebenbeschäftigungen sowie Veröffentlichungen und Vorträge der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Arbeitgeberin bedürfen. Ihre Zulassung als Rechtsanwältin betrieb die Klägerin zunächst nicht, da ihre Arbeitgeberin dies nicht wünschte.

Nach Rückkehr aus einer Elternzeit übernahm die Klägerin Anfang 2009 Aufgaben einer (neben dem Abteilungsleiter bisher als einzige) zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen Kollegin und damit auch neue (für ihre Arbeitgeberin wichtigere) Kunden. Da sich die Firmenpolitik zwischenzeitlich dahingehend geändert hatte, dass sich alle in der Rechtsabteilung tätigen Volljuristen (ohne Änderung des Anstellungsvertrags) zur Rechtsanwaltschaft zulassen sollten, beantragte die Klägerin am 8.7.2009 bei der Rechtsanwaltskammer (RAK) E. ihre Zulassung als Rechtsanwältin. Dabei gab sie an, sie werde ihre Kanzlei in den Geschäftsräumen der B. einrichten und wolle neben dem Rechtsanwaltsberuf noch eine sonstige Tätigkeit ausüben. In der dem Antrag beigefügten Stellenbeschreibung (vom 7.4.2009) beschreibt die B. die Tätigkeit der Klägerin als rechtsberatend (Betreuung und rechtliche Beratung zu versicheru...

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