Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherungspflicht. Ermittlung der Mindeststundenzahl einschließlich ergänzender Pflege und Betreuung

 

Orientierungssatz

Der Begriff der Pflege in § 3 S 1 Nr 1a SGB 6 ist in einem ganzheitlichen Sinne aufzufassen und bei der Ermittlung der Mindeststundenzahl auch die Zeit mit zu rechnen, die für die - die Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung - ergänzende Pflege und Betreuung iS des § 4 Abs 2 S 1 SGB 11 benötigt wird. Auch der zeitliche Aufwand für familiäre Pflege und Betreuung ist zu berücksichtigen, der nicht aus Mitteln der Pflegeversicherung finanziert wird.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 07.05.2004 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 25.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2002 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.02.1997 bis 28.02.2003 gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 a SGB VI in der Rentenversicherung versicherungspflichtig war. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 3 Satz 1 Nr. 1 a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson in der Zeit vom 01.02.1997 bis 28.02.2003.

Die 1957 geborene und nicht erwerbstätige Klägerin ist die Mutter der am 10.01.1989 geborenen N Q (Pflegebedürftige). Bei der Pflegebedürftigen besteht eine Petersche Anomalie mit Blindheit auf dem rechten Auge und stark eingeschränktem Sehvermögen des linken Auges. Sie besuchte im streitigen Zeitraum die I-schule in I. Während dieser Zeit brachte die Klägerin die Pflegebedürftige mit dem PKW zu der ca. 6 bis 7 km von der gemeinsamen Wohnung entfernten Schule und dort bis in den Klassenraum. Nachmittags holte sie, die Pflegebedürftige dort wieder ab und fuhr mit ihr nach Hause. Nach ihren Angaben dauerte die Fahrt morgens etwa eine halbe Stunde. In der Schule wurde die Pflegebedürftige zusätzlich durch eine Sonderpädagogin aus einer Sehbehindertenschule in H betreut.

Nach Antrag auf Leistungen für Schwerpflegebedürftige (01.12.1993) und Begutachtung durch die Ärztin für Innere Medizin Dr. I (10.02.1994) bewilligte die Beigeladene ab 01.12.1993 monatliches Pflegegeld in Höhe von 400,00 DM (Bescheid vom 13.04.1994). Mit dem In-Kraft-Treten des Pflegeversicherungsgesetzes stellte sie automatisch ihre Leistung um und bewilligte Pflegegeld nach Pflegestufe II ab 01.04.1995. Die Zahlung befristete sie wegen einer vorgesehenen Nachuntersuchung vorläufig bis zum 29.02.1996 (Bescheid vom 25.08.1995). In einem Gutachten (30.08.1996) kam Dr. E zu der Beurteilung, der Grundpflegeaufwand liege pro Tag zur Zeit bei etwa 66 Minuten. Bei einem gleichaltrigen gesunden Kind liege dieser zwischen 0 und 105 Minuten, im Mittel deshalb bei 50 Minuten. Demnach verblieben 16 Minuten zusätzliche Grundpflege pro Tag, weshalb die Voraussetzungen für die Pflegestufe I nicht erfüllt seien. Hauswirtschaftliche Versorgung werde nicht berücksichtigt, da kein über dem altersüblichem Maß liegender hauswirtschaftlicher Versorgungsbedarf nachgewiesen sei. Die Beigeladene gewährte Pflegegeld bis einschließlich September 1996 und lehnte Leistungen darüber hinaus ab (Bescheid vom 11.09.1996). Nach Widerspruch, Vorlage eines Pflegetagebuches und Begutachtung nach Aktenlage durch Dr. F (16.12.1996), der von einem noch erhöhtem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von maximal 65 Minuten täglich ausging, bewilligte die Beigeladene Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 01.07.1996 (Bescheid vom 19.12.1996). Die Pflegebedürftige hielt den Widerspruch aufrecht und meinte, die Voraussetzungen für die Gewährung der Pflegestufe II lägen vor. Der Arzt I1 und die Pflegefachkraft G kamen in einem Gutachten (14.04.1997) zu der Beurteilung, bei einem Grundpflegebedarf von insgesamt 26 Minuten und einem allenfalls minimalem Mehraufwand beim Aufräumen gegenüber Altersgenossen und somit fehlendem hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf liege erhebliche Pflegebedürftigkeit nicht vor. Nach Hinweis auf erheblichen Betreuungsaufwand, u.a. ca. 2 Stunden täglich für die Begleitung der Pflegebedürftigen auf dem Schulweg und Begutachtung nach Aktenlage durch Dr. F (10.03.1998) wies die Beigeladene den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.03.1998). Die weiterhin vorgenommene Pflegegeldzahlung ende mit dem 31.03.1998, überzahlte Leistungen seien zu erstatten.

Mit der dagegen erhobenen Klage (S 4 P 36/98) wurde vorgetragen, der Pflegeaufwand betrage mindestens mehr als 2 Stunden Mehraufwand im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beigeladene, der Pflegebedürftigen Leistungen der Pflegestufe II auch ab dem 01.10.1996 weiter zu gewähren (Urteil vom 04.02.1999). Der Anspruch ergebe sich aus Artikel 45 Abs. 1 Satz 1 Pflegeversicherungsgesetz (automatische Überleitung nach dem bis 31.03.1995 gelten...

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