Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenversicherung. medizinische Leistungen zur Rehabilitation. Kinderrehabilitation. Leistungskoordination. Gesetzesauslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Begriff der medizinischen Leistungen zur Rehabilitation iS des SGB 9 ist nicht einengend auszulegen, da die vom Gesetzgeber angestrebte nahtlose und zügige Erbringung aller erforderlichen Leistungen eine fachgerechte Planung und Koordination auch bezogen auf die medizinischen Behandlungen bedingt.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 28. März 2012 wird geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, das Rehabilitationsbegehren des Antragstellers erneut zu bescheiden.

Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt und die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aus beiden Rechtszügen.

 

Gründe

I.

Der 1996 geborene Antragsteller begehrt als Kind seines bei der Antragsgegnerin versicherten Vaters im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung einer stationären Heilmaßnahme.

Der Antragsteller leidet nach Einschätzung des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie H. an einer Störung sozialer Funktionen mit Beginn in Kindheit und Jugend, an einem Zustand nach reaktiver Bindungsstörung mit Übergängen zur Persönlichkeitsstörung und an einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens. Ferner besteht der Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Krankheitsgeschichte reicht nach Aktenlage jedenfalls bis in das Grundschulalter zurück.

Aufgrund vielfältiger Verhaltensauffälligkeiten des Antragstellers wandten sich seine Eltern im August 2011 an die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie I. mit der Bitte um eine vollstationäre Therapie; davon nahmen sie jedoch Ende August 2011 wieder Abstand (vgl. Entlassungsbericht vom 19. Januar 2012). Mit Schreiben vom 28. August 2011 teilten die Eltern des Antragstellers der Klinik mit, dass keine Selbstmordgefahr mehr bestehe und dass der Antragsteller auch nicht bereit seit, mit Mitarbeitern der Klinik über seine Beweggründe zu sprechen.

Stattdessen stellten sie im September 2011 bei der DRV Bund einen Antrag auf Gewährung einer Kinderheilbehandlung, den diese umgehend an die Antragsgegnerin weitergeleitet hat. Nach Auswertung eines (sich teilweise in nur unleserlicher Form bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen, besser lesbar hingegen der Abdruck auf Bl. 11 f. der Gerichtsakte) Befundberichtes des behandelnden Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie H. lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit Bescheid vom 19. Oktober 2011 mit der Begründung ab, dass sie eine Krankenbehandlung im Rahmen der Krankenversicherung für ausreichend erachte.

Zur Begründung des Widerspruchs machten die Eltern des Antragstellers geltend, dass der Hinweis auf eine Krankenbehandlung im Rahmen der Krankenversicherung nachvollziehbar sei; für entsprechende Behandlungen gebe es jedoch Wartezeiten von 12 bis 18 Monaten. Der Antragsteller benötige hingegen kurzfristig "professionelle intensive Hilfe". Zur Begründung des diesen Widerspruch zurückweisenden Bescheides vom 8. Dezember 2011 legte die Antragsgegnerin dar, dass aus ihrer Sicht der Antragsteller an einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen leide. Angesichts der "Komplexität der gesundheitlichen Störungen" bestehe keine ausreichende Belastbarkeit für die Durchführung einer Kinderheilbehandlung. Der Antragsteller bedürfe einer stationären Krankenhausbehandlung in einer geeigneten Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Hiergegen richtet sich eine am 20. Dezember 2011 vor dem Sozialgericht Hannover erhobene Klage des Antragstellers (S 4 R 1462/11).

Vom 12. bis 19. Januar 2012 befand sich der Antragsteller in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie I. in stationärer Behandlung, nachdem er durch suizidale Äußerungen einen Großeinsatz von Polizei und Rettungsdiensten ausgelöst hatte. Seine Mutter legte gegenüber den Klinikärzten dar, dass der Antragsteller bei Grenz- und Regelsetzungen mit suizidalen Handlungen drohe und innerfamiliär zunehmend aggressiv reagiere.

Der Antragsteller berichtete den Klinikärzten von einem traumatischen Erlebnis während eines früheren Aufenthaltes in einer vollstationären Jugendhilfestation. Dieses Erlebnis habe er bislang noch nicht verarbeitet und würde es gerne therapeutisch behandeln lassen.

Die Klinikärzte gelangten zu der Einschätzung, dass er Antragsteller trotz seines Alters viel Betreuung benötige, da er sonst "Unfug" mache, der ihn "massiv" gefährde. Die Klinik erklärte sich "gerne bereit", den Antragsteller "zeitnah" vollstationär zu behandeln. Sollte allerdings der gewünschte Schwerpunkt der therapeutischen Arbeit auf die erlebte Traumatisierung zu richten sein, werde eine ambulante oder stationäre Traumatherapie empfohlen.

Am 24. Februar 2012 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtss...

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