Entscheidungsstichwort (Thema)

Quasi-Berufskrankheit. Neue Erkenntnisse. Medizinische Wissenschaft. Psychische Störungen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Berufsgruppe der Techniker und Ingenieure des Elektrofachs ist nach den Erkenntnissen der Wissenschaft durch Mobbing am Arbeitsplatz nicht in erheblich höherem Grad psychischen Erkrankungen ausgesetzt als die übrige Bevölkerung.

 

Verfahrensgang

SG Hamburg (Urteil vom 31.10.1995; Aktenzeichen 24 U 237/91)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Oktober 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, dem Kläger wegen der Folgen einer Berufskrankheit Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

Der am … 1923 geborene Kläger war in der Zeit vom 15. August 1950 bis 30. November 1986 beim Norddeutschen Rundfunk – NDR – (früher Nordwestdeutscher Rundfunk – NWDR –) beschäftigt. Von 1950 bis 1957 war er als Senderingenieur am Rundfunksender Braunschweig/Salzgitter und anschließend bis zu seiner vorzeitigen Berentung mit Ablauf des Monats November 1986 als Meßingenieur in der Bereichsgruppe Tonmeßtechnik bei dem Studio des NDR in Hamburg-Lokstedt eingesetzt. Während dieser Zeit kam es zu einer Vielzahl arbeitsrechtlicher und persönlicher Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger einerseits und dem NDR, dessen Gremien, den Vorgesetzten und Arbeitskollegen des Klägers sowie weiteren Beteiligten andererseits.

Mit seinem am 23. Oktober 1990 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 19. Oktober 1990 machte der Kläger geltend, er habe während seiner Beschäftigung beim NDR im Laufe langjähriger und systematisch betriebener Verfolgung einen sozialpsychologischen Arbeitsschaden durch gezielten Psychoterror (Mobbing) davongetragen, was schließlich zu seiner Zwangspensionierung am 30. November 1986 geführt habe. In einer ausführlichen Darstellung der “Phänomene der Verfolgung und Mißhandlung im Betrieb” stellte er die erlebten. Vorgänge im einzelnen dar und erläuterte die Methoden und Funktionsmechanismen der gegen ihn gerichteten Maßnahmen, die er als Nachahmung von Nazimethoden charakterisierte. Zum Beleg seiner Darstellung legte er eine Reihe von Schriftstücken vor.

Die Beklagte holte eine Vielzahl ärztlicher Befundberichte ein, die der Kläger durch Vorlage einer eigenen Krankengeschichte und eine ausführliche Beschreibung seiner Beschwerden ergänzte. Hiernach litt der Kläger seit 1970, verstärkt seit 1983 an Funktionsstörungen der Verdauungsorgane insbesondere mit Insuffizienz der Bauchspeicheldrüse und einer Überblähung des Unterleibs (Meteorismus), Herzbeschwerden in Gestalt von Herzrasen (Tachykardien) und anderen Herzrhythmusstörungen sowie später auch einer Herzinsuffizienz. Das Beschwerdebild wurde von einigen Ärzten als gastrokardialer Symptomenkomplex im Sinne eines sog. Roemheld-Syndroms gedeutet, teilweise aber auch als eine Erkrankung des Herzens (Myocardiopathie) oder der Herzkranzgefäße im Sinne einer coronaren Herzkrankheit angesehen. Hinzu kamen weitere Gesundheitsstörungen wie insbesondere seelische Erkrankungen (Befundberichte der psychosomatischen Klinik Bad Neustadt vom 17. Dezember 1985: schwere narzistische Persönlichkeitsstörung mit Angstzuständen und herzbezogener Symptomatik und des Nervenarztes Dr. Fischer-Düsterhoff über Behandlung im Januar 1986: neurotische Persönlichkeitsentwicklung), ein Lungenemphysem, eine spastische Bronchitis, eine Polyneuropathie sowie – nach Angabe des Klägers – ein Tinnitus.

Auf Anfrage der Beklagten teilte der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) mit Schreiben vom 10. Dezember 1990 mit, es lägen in der dort geführten Dokumentation keine neueren Erkenntnisse darüber vor, daß Folgeschäden durch Psychoterror am Arbeitsplatz nach § 551 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung – RVO – wie eine Berufskrankheit zu entschädigen seien. Ebenso äußerte sich der staatliche Gewerbearzt Dr. … in seiner Stellungnahme vom 30. Mai 1991.

Mit ihrem Bescheid vom 09. Juli 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1991 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Erkrankungen des Klägers als Berufskrankheit ab. Der Kläger hat am 22. Oktober 1991 Klage bei dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft und im wesentlichen vorgetragen, aus seinen Erlebnissen und aus der von ihm ausgewerteten wissenschaftlichen Literatur (Allport, Treibjagd auf Sündenböcke, 1951; Hacker, Terror, 1975; Zepf, Grundlinien einer materialistischen Theorie psychosomatischer Erkrankungen, 1976; Leymann, Mobbing, 1993 und andere Quellen) habe er erfahren müssen, daß im NDR (früher: NWDR) Nazimethoden nachgeahmt würden. Hierbei handele es sich um ein System der Kriminalität von Institutionen und Personen, welches sich der gezielten Verbreitung von Vorurteilen...

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