Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Scheinverwaltungsakt. Qualifikation als Verwaltungsakt. Zulässigkeit der Anfechtungsklage. Art und Umfang des vorläufigen Rechtsschutzes gegen fehlerhafte Anordnung. Sozialhilfe. Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten. Träger der freien Wohlfahrtspflege. fristlose Kündigung von Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen durch Sozialhilfeträger. kein Verwaltungsakt. keine Fortgeltung von abgelaufenen bzw nicht existierenden Verträgen durch faktische Weiterführung. kein unbefristeter Abschluss von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen gem § 75 Abs 3 SGB 12. Schriftformerfordernis. rückwirkender Abschluss von Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen. Ermessensausübung. Ermessensreduzierung auf Null

 

Orientierungssatz

1. Auch wenn eine Behörde eine sich objektiv nicht als Verwaltungsakt darstellende Regelung als Verwaltungsakt erlässt, ist die Anfechtungsklage eröffnet (vgl BVerwG vom 26.6.1987 - 8 C 21/86 = BVerwGE 78, 3). Einstweiliger Rechtsschutz erfolgt in diesen Fällen - auch - nach § 86a Abs 1 SGG.

2. Bei der fristlosen Kündigung gem § 78 SGB 12 handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, die auf die Beendigung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist, in dessen Rahmen die Beteiligten sich in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber stehen.

3. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist nicht die in § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG für den Regelfall vorgesehene Anordnung (Wiederherstellung) der aufschiebenden Wirkung der Klage vorzunehmen, wenn die Klage oder der Widerspruch gegen eine (wie hier) einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung der Behörde keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Der vom Einrichtungsträger begehrte vorläufige Rechtsschutz kann nur durch die Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung gewährt werden. Es ist geboten, den Rechtsschein zu beseitigen, der durch die gesetzlich nicht zulässige und damit rechtswidrige Anordnung des Sofortvollzuges nach § 86b Abs 2 S 1 Nr 5 SGG erzeugt worden ist.

4. Eine Aufhebung des Sofortvollzugs der Kündigung, sogar eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung geht ins Leere, wenn Vereinbarungen iS von § 75 Abs 3 SGB 12, die fortlaufend ausgeführt werden könnten, nicht existieren.

5. Die Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen sind in den Bereichen Betreutes Gruppenwohnen, Wohnungserhalt und Wohnungserlangung sowie Kriseneinrichtungen befristet worden. Zwar ist die Laufzeit der Vereinbarungen gesetzlich nicht vorgegeben, die gesetzliche Regelung des § 77 Abs 1 S 1 SGB 12 spricht gegen die Annahme, dass die Vereinbarung einer unbefristeten Geltungsdauer möglich ist (vgl SG Augsburg vom 18.8.2006 - S 15 SO 96/06 ER).

6. Allein aus dem Umstand, dass sowohl der Sozialhilfeträger als auch der Träger der freien Wohlfahrtspflege die von ihnen befristeten und durch Zeitablauf beendeten Vereinbarungen als fortbestehend behandelt haben, folgt nicht deren rechtliche Existenz. Einer konkludenten Vereinbarung im Bereich öffentlich-rechtlicher Verträge steht das zwingende Schriftformerfordernis des § 56 SGB 10 entgegen (vgl VGH München vom 12.9.2005 - 12 CE 05.1725 = VGHE BY 58, 236).

7. Im vorliegenden Fall kommt ein rückwirkender Abschluss von Leistungs- und Prüfungsvereinbarungen in Betracht (vgl BVerwG vom 4.8.2006 - 5 C 13/05 = BVerwGE 126, 295, OVG Lüneburg vom 22.7.2008 - 4 LA 22/06 und BSG vom 28.10.2008 - B 8 SO 22/07 R = BSGE 102, 1 = SozR 4-1500 § 75 Nr 9). Das Rückwirkungsverbot des § 77 Abs 2 S 3 SGB 12 betrifft ausschließlich Vergütungsvereinbarungen.

8. Die Verwaltung bzw der Sozialhilfeträger ist beim Abschluss von Leistungsvereinbarungen zur pflichtgemäßen Ermessensausübung verpflichtet (vgl BVerwG vom 30.9.1993 - 5 C 41/91 = BVerwGE 94, 202).

9. Eine Verpflichtung zum Abschluss von Vereinbarungen iS des § 75 Abs 3 S 1 SGB 12 im Wege einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt (vgl LSG Darmstadt vom 18.7.2006 - L 7 SO 16/06 ER).

 

Tenor

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Kündigungserklärung des Antragsgegners vom 25. Mai 2011 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens S 51 SO 507/11 folgende Vereinbarungen gemäß § 75 Abs. 3 SGB XII für den Zeitraum 1.9.2011 bis 31.12.2011 mit der Antragstellerin zu schließen:

- Vereinbarung betreffend die Kriseneinrichtung T Sch, inhaltlich entsprechend der Vereinbarung vom 30.3.2009, (72KRI-1342-009),

- Vereinbarung betreffend die Kriseneinrichtung T M, inhaltlich entsprechend der Vereinbarung vom 30.3.2009, (72KRI-1342-010),

- Vereinbarung betreffend die Kriseneinrichtung V L„, inhaltlich entsprechend der Vereinbarung vom 25.11.2009, (72KRI-1342-011),

- Vereinbarung betreffend Betreutes Einzelwohnen, inhaltlich entsprechend der Vereinbarung vom 28.12.2009, (72BEW-1342-006)

- Vereinbarung b...

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