Entscheidungsstichwort (Thema)

Rücknahme eines nicht begünstigenden rechtswidrigen Aufhebungsbescheides im Zugunstenverfahren. Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung wegen Nichtmitteilung eines Lohnsteuerklassenwechsels von Ehegatten. Ausschluss der Rücknahme nach § 330 Abs 1 SGB 3. Zeitpunkt der Änderung der ständigen Rechtsprechung. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. § 44 Abs 1 S 1 SGB 10 umfasst über seinen eigentlichen Wortlaut hinaus auch diejenigen Fälle, in denen die Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides begehrt wird (vgl BSG vom 16.9.1999 - B 7 AL 80/98 R = SozR 3-4100 § 101 Nr 10 und vom 20.6.2002 - B 7 AL 108/01 R = SozR 3-4300 § 143 Nr 4). Sozialleistungen werden auch dann iS von § 44 Abs 1 S 1 SGB 10 nicht erbracht, wenn eine überzahlte Leistung zurückgefordert wird (vgl BSG vom 28.5.1997 - 14/10 RKg 25/95 = SozR 3-1300 § 44 Nr 21) .

2. Datiert der Bescheid über die Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung wegen Nichtmitteilung eines Lohnsteuerklassenwechsels in der Gestalt des Widerspruchsbescheides zeitlich vor der mit Urteil vom 29.8.2002 geänderten Rechtsprechung des BSG zur grob fahrlässigen Verletzung einer Mitteilungspflicht beim Steuerklassenwechsel (vgl BSG vom 29.8.2002 - B 11 AL 87/01 R = SozR 3-4300 § 137 Nr 3), so wird die Anwendung des § 44 Abs 1 S 1 SGB 10 durch § 330 Abs 1 SGB 3 ausgeschlossen .

3. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nicht .

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. Dezember 2001 zurücknehmen muss.

Der 1943 geborene, verheiratete Kläger meldete sich am 24. Juni 1999 während des Bezugs von Krankengeld arbeitslos und beantragte Leistungen. Im Antragsvordruck trug der Antragsannehmer der Beklagten in grüner Schrift ein, dass zu Jahresbeginn auf der Lohnsteuerkarte des Klägers die Lohnsteuerklasse III eingetragen sei. Der Kläger übersandte der Beklagten im August 1999 die Kopie einer Ersatzlohnsteuerkarte für das Jahr 1999, auf der die Steuerklasse III eingetragen war. Bei der Antragstellung bestätigte der Kläger, von dem Merkblatt für Arbeitslose Kenntnis genommen zu haben. In diesem heißt es: "Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden. Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein."

Die Beklagte bewilligte dem Kläger nach dem Ende des Bezuges von Krankengeld ab 20. August 1999 Arbeitslosengeld in Höhe von DM 429,45 wöchentlich (Bemessungsentgelt DM 1.000,00; Leistungssatz 60%; Leistungsgruppe C; Kindermerkmal 0; Leistungstabelle 1999; Bescheid vom 31. August 1999). Der wöchentliche Leistungssatz betrug ab 1. Januar 2000 nach Anpassung an die Leistungsentgeltverordnung 2000 DM 437,71 wöchentlich (Bescheid vom 17. Januar 2000), ab 1. Juli 2000 nach Dynamisierung des Bemessungsentgelts auf DM 1.110,00 DM 469,70 (Bescheid vom 26. Juli 2000), ab 1. Januar 2001 nach Anpassung an die Leistungsentgeltverordnung 2001 DM 481,04 (Bescheid vom 15. Januar 2001), ab 20. August 2001 nach Dynamisierung des Bemessungsentgelts auf DM 1.130,00 DM 486,71 (Bescheid vom 28. August 2001). Arbeitslosengeld wurde bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 7. Oktober 2001 gezahlt.

Im Antragsvordruck auf Arbeitslosenhilfe, den der Kläger am 11. Oktober 2001 stellte, trug der Antragsannehmer der Beklagten in grüner Schrift ein, dass die zu Jahresbeginn auf der Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Lohnsteuerklasse die V sei. Nach Anhörung des Klägers (Schreiben vom 6. November 2001, vgl. Bl. 73 der Verwaltungsakte), auf die der Kläger zunächst nicht reagierte, hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld mit Wirkung ab 1. Januar 2000 teilweise auf und verlangte die Erstattung eines Betrages in Höhe von DM 17.587,95. Auf Grund eines Steuerklassenwechsels habe dem Kläger die Leistung nach der Leistungsgruppe D (statt nach der Leistungsgruppe C) vom 1. Januar 2000 bis 19. August 2000 in Höhe von DM 257,11 (statt DM 437,71), vom 20. August 2000 bis 31. Dezember 2000 in Höhe von DM 273,28 (statt DM 469,70), vom 1. Januar 2001 bis 19. August 2001 in Höhe von DM 285,46 (statt DM 481,04) und vom 20. August 2001 bis 7. Oktober 2001 in Höhe von DM 288,40 (statt DM 486,41) zugestanden. Der Kläger habe den Wechsel der Lohnsteuerklasse nicht rechtzeitig mitgeteilt (Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. Dezember 2001).

Tatsächlich hatte der Kläger seine Lohnsteuerklasse am 16.09.1999 zum 01.10.1999 von der Lohnsteuerklasse III zur Lohnsteuerklasse V ändern lassen (vgl. Bescheinigung der Stadt E vom 27.08.2002, Bl. 168b der Verwaltungsakte). Die Beklagte hat für den Zeitraum vom 01.10.1999 bis 31.12.1999 keine Aufhebungsentscheidung getroffen.

Den Widerspruch des Klägers, der erklärte, er wisse nicht, was er falsch gemacht habe, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. März 2002 zurück. Seit dem Wechsel der Steuerklassen mit Wirkung vom 1. Januar 2000 - dass der Wechsel zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sei, habe der Kläger nicht geltend gemacht - ...

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