Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts. Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorläufige Leistungsbewilligung. unrichtige bzw unvollständige Angaben des Begünstigten. Nichterweislichkeit einer fehlenden Hilfebedürftigkeit. Unterkunftsbedarf. Zweifel an der Nutzung der Wohnung. Verschleierung von Einkommen und Vermögen. Beweislastumkehr. Zulässigkeit einer Begründungsänderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine unzulässige Wesensänderung eines Verwaltungsaktes liegt nicht vor, wenn das Jobcenter nach Durchführung von Ermittlungen die Aufhebung einer Leistungsbewilligung nicht mehr auf § 36 SGB II, sondern auf die fehlende Hilfebedürftigkeit stützt.

2. Im Rahmen von § 45 Abs 2 S 3 SGB X ist eine Beweislastumkehr gerechtfertigt, wenn nach Ermittlungen des Jobcenters und der Gerichte Umstände unaufgeklärt bleiben (hier bezogen auf die Hilfebedürftigkeit), die der persönlichen Sphäre des Klägers zuzuordnen sind.

3. Ein vorläufiger Bewilligungsbescheid nach § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II iVm § 328 Abs 1 S 1 SGB III kann - wenn er von Anfang an rechtswidrig war - nach § 45 SGB X zurückgenommen werden.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19.12.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 1.3.2014 streitig.

Die 1962 in Russland geborene, seit 1999 geschiedene Klägerin, die als Selbstständige einen Handel mit Antifaltenmitteln betreibt, bezog ab dem 1.1.2005 SGB-II-Leistungen vom Beklagten. Sie ist seit dem 1.6.1995 Mieterin (damals zusammen mit ihrem früheren Ehemann, Herrn R. G.) der 4-Zimmer-Wohnung in K. (Mietvertrag vom 5.5.1995, Bl. 93 ff. VA). Zum damaligen Zeitpunkt lebten ihre beiden Söhne, A. (geb.1993) und M. (geb. 1997) zusammen mit ihr in der angegebenen Wohnung. Im Juli 2007 teilte das Bürgerbüro der Stadt K. dem Beklagten mit, das Einwohnermeldeamt B. habe angegeben, die Klägerin und ihre beiden Kinder seien seit dem 1.4.2007 in B. gemeldet (Anschrift: B.; Mietvertrag seit dem 1.3.2007 für eine 4-Zimmer-Wohnung mit 89,64 qm und einer Gesamtmiete von 663,34 € - Bl. 2205 ff. VA). Im August 2007 gab Klägerin gegenüber dem Beklagten an, ihr Sohn M. werde ab dem 27.8.2007 in B. leben, ihr Sohn A. lebe bei seinem Vater (Bl. 1109 VA); Anfang September 2007 gab sie weiter an, ab dem 11.9.2007 in B. eine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen (Bl. 1123 und 1141 VA). Mit Bescheid vom 17.9.2007 hob der Beklagte seine Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung zum 11.9.2007 auf (Bl. 1147 VA). Die Klägerin verzog sodann nach B.. Dort mietete sie zusätzlich ab dem 1.3.2008 noch eine weitere 5-Zimmer-Wohnung mit 115 qm und einem Gesamtmietpreis von 935,85 €. Nach den Ermittlungen der B. Polizei wurden die Zimmer in beiden Wohnungen in B. auf den Internetseiten “www.wg-gesucht.de„ und “www.studenten-wg.de„ zur Untervermietung angeboten; alle Zimmer seien seit März 2008 untervermietet (Tätigkeitsbericht vom 18.11.2014, Bl. 2735 ff. VA).

Am 30.9.2013 sprach die Klägerin beim Beklagten vor und beantragte für sich und ihren Sohn M. SGB-II-Leistungen, wobei sie keine Bankverbindung angab und die Auszahlung per Scheck wünschte (Bl. 1267 VA). Sie teilte mit, sie wohne mit ihrem Sohn M. seit dem 28.9.2013 in K.. In der von ihr vorgelegten Einwohnermeldeamtbestätigung der Stadt K. vom 30.9.2013 wurde als künftige “Nebenwohnung„ die Adresse “.B.„ angegeben (Bl. 1275, 1283 VA). Die Klägerin gab bei ihrer Antragstellung weiter an, Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit als Handelsvertreterin (Betriebsstätte: .in K.) zu erzielen, wobei sie in der Anlage EKS als Summe der Betriebseinnahmen jeweils “00„ angab. Sie erhalte für ihren Sohn M. Kindergeld i.H.v. 184 € monatlich. Bei der Frage zu ihren Konten und Geldanlagen (Anlage VM, Bl. 1312 VA), gab sie an, sie verfüge über ein Girokonto (Kontostand: 13 €) bei der ...-Bank K.-N.. Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, habe sie sich aus der “Geschäftskasse (Kundengelder)„ bedienen müssen. In der Anlage KDU gab sie an, die Miete betrage 420 €, die Neben-und Heizkosten beliefen sich auf 110 € bzw. 140 €. Die Frage zur Untervermietung strich sie durch. In der Anlage EK strich sie die Fragen zu Einnahmen aus Untervermietung ebenfalls durch.

Bei einer persönlichen Vorsprache erklärte die Klägerin am 7.10.2013, sie halte sich nur vorübergehend in K. auf und plane, spätestens am 15.1.2014 wieder nach B. umzuziehen. Ihr Sohn M. lebe weiterhin in B. und besuche dort eine Schule für Hochbegabte. Sie sei nach K. gezogen, um sich um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern und wegen Vertragsverhandlungen. Sie wolle einen Vertrieb von “Karts„ von Süddeutschland nach Russland organisieren (Bl. 1389, 1393 VA).

Mit Bescheid vom 8.10.2013 (Bl. 1371 VA) bew...

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