Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung in der Wartezeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Falle einer Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses darf der Arbeitgeber seine die Kündigung veranlassende subjektive Bewertung (hier: Sicherheitsrisiko) von ihm schon bei Vertragsschluss bekannten, unverändert gebliebenen, persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers nicht ohne Darlegung nachvollziehbarer neuer Erwägungen mit Tatsachenkern ändern.

2. Eine Kündigung verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 GG, wenn sie wegen der Eheschließung des Arbeitnehmers mit einer chinesischen Staatsangehörigen ausgesprochen wurde. Sie verstößt jedenfalls dann gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und ist willkürlich, wenn diese familiären Verhältnisse schon bei der Einstellung bekannt waren, als unbeachtlich eingeordnet wurden und sich auch arbeitstechnisch keinerlei Tatsachenveränderung ergeben hat.

3. Eine Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses ist sittenwidrig (§138 BGB), wenn der Arbeitgeber das "ethische Minimum" nicht eingehalten hat. Es verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn der Arbeitgeber einen seit mehreren Jahren bei ihm im Wege der Arbeitnehmerüberlassung eingesetzten Arbeitnehmer in Kenntnis dessen langjähriger familiärer Beziehung zu einer in China lebenden chinesischen Staats-angehörigen nicht als Sicherheitsrisiko einordnet, ihn dann in Kenntnis seiner diesbezüglichen Eheschließung abwirbt, ihm kurz darauf ohne Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Situation in der Wartezeit des § 1 KSchG wegen dieser persönlichen Verhältnisse kündigt und gegen eine andere Arbeitskraft austauscht.

4. Der unwirksam gekündigte Arbeitnehmer hat einen Auflösungs- und Abfindungsanspruch nach §§ 13 Abs. 2, 9,10 KSchG, da ihm bei einer sittenwidrigen Kündigung das weitere Verbleiben bei dem Arbeitgeber regelmäßig unzumutbar ist.

 

Normenkette

KSchG § 1; BGB §§ 138, 242, 134; GG Art. 6 Abs. 1; KSchG § 13 Abs. 2, §§ 9-10; BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 08.12.2010; Aktenzeichen 4 Ca 1016 d/10)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 21.06.2010 beendet worden ist.

2. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wird zum Ablauf des 30.09.2010 auf Antrag des Klägers aufgelöst.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 28.000,– EUR brutto zu zahlen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die innerhalb der ersten sechs Monate einer arbeitsvertraglichen Verbindung erfolgte sowie über ein Auflösungsbegehren des Klägers.

Die Beklagte ist ein textilverarbeitendes Unternehmen, das zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung rund 230 Arbeitnehmer beschäftigte, ca. 1/3 davon mit Migrationshintergrund. Das Unternehmen hat sich auf die Entwicklung, Fertigung, Wartung und den Vertrieb von Kraftstoffmess- und -regelsystemen, Sicherheitssitzen für Hubschrauber und Schleudersitz-Rettungssystemen spezialisiert. Die Beklagte beliefert Unternehmen der Luftfahrtindustrie und Wehrtechnik im In- und Ausland, aber auch die Bundeswehr direkt.

Der Kläger ist 1963 geboren, verheiratet und einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Er ist seit dem 31.05.2006 im Unternehmen der Beklagten als Mitarbeiter der Musterprüfleitstelle und Konfigurationskontrolle tätig. Grundlage war zunächst eine Beschäftigung im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung. Im November 2009 trat die Beklagte an ihn heran und bot ihm den Abschluss eines Arbeitsvertrages an. Daraufhin unterzeichnete der Kläger am 19.11.2009 den als Anlage K1 zur Akte gereichten Arbeitsvertrag, der einen Beschäftigungsbeginn ab 01.02.2010, eine Tätigkeit auf seinem alten Arbeitsplatz, ein Wegfallen der Probezeit, eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende und eine Eingruppierung in die Tarifgruppe T4 nach den tariflichen Bestimmungen für die Nordwestdeutsche Textil- und Bekleidungsindustrie regelt (Bl. 80 ff der Akte). Inklusive Sonderzuwendungen ergibt sich eine durchschnittliche monatliche Vergütung von 4.000,– EUR brutto.

Die Beschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten hatte folgenden Verlauf:

Am 31.05.2006 nahm der Kläger seine Tätigkeit als Mitarbeiter in der Musterprüfleitstelle und Konfigurationskontrolle im Wege der Arbeitnehmerüberlassung auf.

Ab 2007 unternahm er mehrfach längere Urlaubsreisen nach China/Hongkong, um seine dort lebende Lebensgefährtin mit chinesischer Staatsangehörigkeit zu besuchen. Vor den entsprechenden Reisen kontaktierte der Kläger jeweils weisungsgemäß die Sicherheitsbeauftragte der Beklagten, die zu keinem Zeitpunkt Bedenken äußerte.

Nach dreieinhalbjährigem Einsatz bei der Beklagten unterzeichnete der Kläger am 19.11.2009 ...

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