Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungszeitpunkt bei sonntäglichem Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten der Arbeitnehmerin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung entfaltet die Kündigung ihre Wirkung erst mit Zugang bei der Arbeitnehmerin (§ 130 Abs. 1 BGB); zugegangen ist die Kündigungserklärung, wenn sie derart in den Machtbereich der Empfängerin gelangt, dass diese sich unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis verschaffen kann und wenn die Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs von ihr erwartet werden muss.

2. Wird das Kündigungsschreiben in den Briefkasten zu einer Tageszeit eingeworfen, bei der eine Briefkastennachschau verkehrsüblich nicht mehr zu erwarten ist, geht die Kündigungserklärung erst am nächsten Werktag zu.

3. Eine Briefkastennachschau an einem Sonntag ist, selbst wenn am Wochenende Zeitschriften ("Wochenblätter") verteilt werden, verkehrsüblich nicht mehr zu erwarten; der Einwurf von "Wochenblättern" ist nicht mit dem Zugang von Briefsendungen gleichzusetzen.

 

Normenkette

BGB § 130 Abs. 1, § 622 Abs. 1, 3

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Entscheidung vom 16.04.2015; Aktenzeichen 1 Ca 3132/14)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 16.04.2015 - 1 Ca 3132/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt der Beendigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte ist eine Rechtsanwaltskanzlei, die in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts betrieben wird. Gesellschafter sind Rechtsanwalt R. und Rechtsanwältin E.. Die Klägerin war dort seit dem 01.09.2014 auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom selben Tag (Anlage K 1, Bl. 6 ff. d. A.) als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte beschäftigt. Gemäß § 1 Ziffer 2. Satz 1 des Arbeitsvertrages gelten die ersten drei Monate des Arbeitsverhältnisses als Probezeit. Der Bruttomonatsverdienst der Klägerin betrug bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden 1.560,00 EUR. Der Arbeitsvertrag der Klägerin ist auf Seiten der Arbeitgeberin unterzeichnet durch Herrn Rechtsanwalt R..

Mit Schreiben vom 30.11.2014 (Anlage K 2, Bl. 8 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 15.12.2014, hilfsweise zum 31.12.2014. Strittig ist, wann das Kündigungsschreiben zugegangen ist.

Gegen die Kündigung hat die Klägerin sich mit Klage vom 19.12.2014 (Bl. 2 ff. d. A.) gewehrt. Sie hat vorgetragen, sie habe die Kündigung am 03.12.2014 erhalten. Die Kündigung könne das Arbeitsverhältnis frühestens mit Ablauf des 31.12.2014 beenden.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Kündigungserklärung sei der Klägerin am 30.11.2014 durch die Zeugin K. Th. gegen 9:30 Uhr in den Hausbriefkasten an der Hausanschrift der Klägerin eingeworfen worden. Damit sei die Kündigung am 30.11.2014 zugegangen, da Kündigungen auch an einem Sonntag zugehen können und insoweit § 193 BGB unanwendbar sei.

Das Arbeitsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 16.04.2015, auf das sie hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens sowie der Begründung verwiesen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 15.12.2014 hinaus bis zum 31.12.2014 fortbestanden hat und die weitergehende Klage abgewiesen. Dieses Urteil ist der Beklagten am 28.04.2015 zugestellt worden. Sie hat hier gegen am 15.05.2015 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung am 24.07.2015 begründet.

Die Beklagte trägt vor, das Arbeitsgericht sei irrig davon ausgegangen, dass die Kündigung unter Annahme gewöhnlicher Verhältnisse nicht am Sonntag habe zugehen können. Die Kündigung sei nicht durch einen Zustelldienst wie Post, sondern durch einen Boten, zugestellt worden. Die Klägerin habe auch mit einer Kündigung am Sonntag, nämlich dem letzten Tag der Probezeit, rechnen müssen. Rechtsanwalt R. arbeite gewöhnlich auch an Sonntagen im Büro. Das habe die Klägerin auch nicht bestritten. Die Klägerin habe auch deshalb mit dem Zugang von Sendungen rechnen müssen, da die Haushalte im Kreis Stormarn regelmäßig über die Briefkästen mit so genannten Wochenblättern versorgt werden. Deren Verteilung erfolge regelmäßig an Samstagen und Sonntagen. Daher sei es üblich, Briefkästen auch an den Wochenenden zu sichten und zu leeren. Die Zeugin Th. sei daher zu vernehmen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 16.04.2015 - 1 CA 3132/14 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und trägt weiter vor, ihr sei, entgegen der Darstellung der Beklagte, nicht bewusst gewesen, dass eine Kündigung drohe. Die jetzt erhobenen Vorwürfe träfen nicht zu. Es sei auch nicht generell davon auszugehen, dass einem Arbeitnehmer bewusst sei, wann die Probezeit ende. Zudem hätte gerade bei einer Kündigung durch eine Anwaltskanzlei erwartet werden können, dass diese Kündigung ordnungsgemäß innerh...

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