Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung verspäteter Kündigungsschutzklage bei sorgfältiger Organisation des Transports der Klageschrift zum Justizzentrum durch die Prozessvertreterin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine allgemeine Feststellungsklage zum rechtzeitigen Eingang der Kündigungsschutzklage ist unzulässig, weil sie nicht auf den Bestand oder Nichtbestand eines Rechtsverhältnisses abzielt (§ 256 Abs. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 256 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind; die Frage, ob die Klage überhaupt verspätet eingereicht wurde, ist in dem Zulassungsverfahren gemäß § 5 KSchG als Vorfrage aufzuklären, wobei eine Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag für den Fall, dass das Gericht die Klage als verspätet ansieht, nur ergehen darf, wenn die Verspätung vorab festgestellt worden ist.

2. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist die nicht innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung erhobene Klage nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt an einer Klageerhebung verhindert war.

3. Über die Zurechnungsnorm des § 85 Abs. 2 ZPO hat die Partei auch für das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten einzustehen; erfasst wird eigenes Fehlverhalten der Parteivertreterin.

4. Keine Zurechnung erfolgt hinsichtlich eines Fehlverhaltens des mit der Mandatsabwicklung betrauten Büropersonals; ein der Partei zurechenbares eigenes Verschulden der Vertreterin liegt jedoch vor, wenn der eingetretene Fehler auf einer von ihr zu verantwortenden fehlerhaften Büroorganisation beruht.

5. Die Prozessvertreterin ist grundsätzlich berechtigt, einfache Arbeitsvorgänge auf die geschulten Mitarbeiterinnen zu übertragen; dazu gehört insbesondere der Transport fristgebundener Schriftsätze von der Kanzlei zum Gericht.

6. Auf Mängel in der Kanzleiorganisation kommt es dann nicht an, wenn die Anwältin eine klare und präzise Anweisung für den konkreten Fall erteilt hat, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte; da die Anwältin grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass die einer zuverlässigen Mitarbeiterin erteilte Einzelanweisung befolgt wird, ist für die Fristversäumung dann nicht die Büroorganisation sondern der individuelle Fehler der Mitarbeiterin ursächlich.

 

Normenkette

KSchG §§ 5, 5 Abs. 1 S. 1; ZPO § 85 Abs. 2, § 256 Abs. 1, § 294

 

Verfahrensgang

ArbG Halle (Saale) (Entscheidung vom 07.08.2014; Aktenzeichen 2 Ca 2288/13)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Halle vom 07.08.2014 - 2 Ca 2288/13 - teilweise unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und hinsichtlich der Ziffer 1. des Tenors wie folgt neu gefasst:

Die Feststellungsklage bezüglich des Eingangs der Klagschrift vom 14.08.2013 wird als unzulässig abgewiesen.

Die Kündigungsschutzklage vom 14.08.2013 wird nachträglich zugelassen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer fristgemäßen Kündigung der Beklagten vom 24.07.2013 zum 31.12.2013, vorab über die rechtzeitige Klageerhebung bzw. die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage.

Die vorgenannte Kündigung ist dem Kläger durch Übergabe am 24.07.2013 zugegangen. Die von ihm unter dem Datum 14.08.2013 durch seine Prozessbevollmächtigten bei dem Arbeitsgericht Halle eingereichte Kündigungsschutzklage trägt den Eingangsstempel des Justizzentrums Halle (Bl. 1 d. A.) vom 15.08.2013. Es handelt sich um einen sog. Tagesstempel, mit dem die nach 24.00 Uhr in den Nachtbriefkasten eingeworfenen Postsendungen versehen werden.

Die Kanzleiräume der Prozessbevollmächtigten des Klägers befinden sich unmittelbar gegenüber dem Eingangsbereich des Justizzentrums Halle. Dort ist auch der Nachtbriefkasten angebracht.

Über das aufgestempelte Eingangsdatum erhielten die Klägervertreter durch Information des Arbeitsgerichts im Zusammenhang mit der Ladung zum Gütetermin am 30.08.2013 Kenntnis. Sie beantragten mit Schriftsatz vom selben Tage - per Fax am 30.08.2013 bei dem Arbeitsgericht eingegangen - "vorsorglich" die nachträgliche Zulassung der Klage und führten zur Begründung aus, die Klage sei bereits am 24.07.2013 in den Nachmittagsstunden in den Nachtbriefkasten des Justizzentrums Halle eingeworfen worden. Mit weiterem Schriftsatz vom 04.09.2013 - am selben Tage bei dem Arbeitsgericht per Fax eingegangen - haben die Prozessbevollmächtigten zur Glaubhaftmachung dieses Vortrages eidesstattliche Versicherungen der Mitarbeiterinnen V (Bl. 37 d. A.) und U (Bl. 38 d. A.) vorgelegt. Weiter baten die Prozessbevollmächtigten des Klägers um einen gerichtlichen Hinweis, sollte ergänzender Sachvortrag hinsichtlich des Antrages nach § 5 KSchG erforderlich sein.

In den vorgenannten eidesstattlichen Versicherungen haben die Mitarbeiterinnen V und U u. a. dargestellt, dass durch die sachbearbeitende Rechtsanwältin F am 14.08.2013 die ausdrückliche Anweis...

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