Entscheidungsstichwort (Thema)

Anfechtung einer Willenserklärung wegen widerrechtlicher Drohung. Widerrechtliche Drohung gem. § 123 Abs. 1 BGB. Geschäftsunfähigkeit infolge vorübergehender Störung der Geistestätigkeit. Keine Anhörung des Betriebsrats und des Integrationsamts bei einvernehmlichem Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Willenserklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten. Eine Drohung iSd. § 123 Abs. 1 BGB setzt die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird.

2. Eine Drohung kann widerrechtlich sein, wenn der Arbeitgeber ein unlauteres Ziel verfolgt und dabei den Arbeitnehmer unter Druck setzen will. So kann es widerrechtlich sein, bei relativ unerheblichen Vorgängen mit der Erstattung einer Strafanzeige und mit der Hinzuziehung der Polizei zu drohen. Entscheidend ist, dass die Drohung in Anbetracht der Gesamtumstände und unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als unangemessen erscheint.

3. § 105 Abs. 2 BGB setzt einen Zustand voraus, in dem die freie Willensbestimmung nicht nur geschwächt und gemindert, sondern völlig ausgeschlossen ist. Bloße Willensschwäche schließt die Möglichkeit freier Willensbildung nicht aus. Bestimmte krankhafte Vorstellungen und Empfindungen des Erklärenden müssen derart übermäßig geworden sein, dass eine Bestimmung des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen war.

4. Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung anzuhören (§ 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG). Unterbleibt diese Anhörung, ist die Kündigung unwirksam (§ 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Diese Anhörungspflicht bezieht sich nur auf Kündigungen, nicht aber auf Aufhebungsverträge. Bei schwerbehinderten Menschen ist das Integrationsamt eebenfalls vor jeder (außerordentlichen) Kündigung anzuhören (§§ 91, 85, 68 Abs. 3 SGB IX). Dieser Sonderkündigungsschutz greift jedoch ebenfalls nicht ein, wenn das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag einvernehmlich beendet wird.

 

Normenkette

BGB § 123 Abs. 1, § 105 Abs. 2, § 142; BetrVG § 102 Abs. 1 Sätze 1, 3; SGB IX § 68 Abs. 3, §§ 85, 91

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 11.01.2017; Aktenzeichen 3 Ca 1085/16)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 11. Januar 2017, Az. 3 Ca 1085/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag.

Die 1968 geborene, ledige Klägerin war seit April 1994 im SB-Warenhaus der Beklagten in N. als Mitarbeiterin an der Kasse zu einer durchschnittlichen Monatsvergütung von € 2.838,33 brutto in Vollzeit beschäftigt. Sie ist gem. § 2 Abs. 3 SGB IX seit März 2012 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem SB-Warenhaus in N. ca. 500 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.

Am 19.05.2016 schloss die Klägerin im Anschluss an ein Gespräch mit der Personalleiterin mit der Beklagten einen schriftlichen Aufhebungsvertrag zum 31.05.2016. An diesem Gespräch haben außerdem die Kassenaufsicht, der Hausdetektiv und ein Mitglied des Betriebsrats teilgenommen. Sowohl die Klägerin als auch die anderen Gesprächsteilnehmer unterzeichneten eine Erklärung, die der Hausdetektiv nach dem Vortrag der Beklagten handschriftlich gefertigt haben soll. Die Klägerin ist sich nicht sicher, ob sie die von der Beklagten vorgelegte Erklärung (Original, Bl. 538 d.A.) unterzeichnet hat. Das Schriftstück hat folgenden Wortlaut:

"Am 19.05.16 gegen 11:00 erschien die [Klägerin] an der Information, wo sie drei Textilartikel zurückgab und sich € 30,68 auszahlen ließ.

Zwei der Artikel hatte sie am 23.04.16 gekauft. Es handelte sich hierbei um einen Damenschlafanzug der von € 19,99 auf € 2,50 und ein Damennachthemd, das von € 12,99 auf € 2,50 reduziert worden war. Als sie diese beiden Artikel an der Info auszahlen ließ, waren die Aufkleber mit den reduzierten Preisen abgekratzt. [Die Klägerin] ließ sich die ursprünglichen Preise abzüglich 10% Personalrabatt auszahlen.

Bei dem dritten Artikel handelte es sich um einen Damenslip.

Einen Kassenbon konnte sie nicht vorlegen.

Aufgrund des Sachverhalts wurde [die Klägerin] nach Rücksprache mit dem Betriebsrat zu einem Gespräch gebeten. Nach anfänglichem Leugnen gab [die Klägerin] ihr Fehlverhalten zu. Sie gab an, heute zum ersten Mal manipuliert zu haben.

gelesen und für richtig befunden:

N., 19.05.16

(Unterschrift)

[Klägerin]

Zeugen:

(Unterschrift)

Betriebsrat

(Unterschrift)

Personalbüro

(Unterschrift)

Kassenaufsicht

(Unterschrift)

Detektiv"

Mit Anwaltsschreiben vom 23.05.2016 focht die Klägerin den Aufhebungsvertrag aus allen in Betracht kommenden Gründen, insb. wegen widerrechtlicher Drohung mit der Hinzuziehung der Polizei, der Erstattun...

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