Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlerhaft zustande gekommene Regelungsabrede bei unbestimmter Übertragung von Mitbestimmungsaufgaben des Betriebsrats auf den Betriebsausschuss. Klage einer Fuhrparkdisponentin auf Verringerung und Neuverteilung der Arbeitszeit bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zu einer dem Teilzeitbegehren entgegenstehenden Regelungsabrede mit dem Betriebsrat

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BetrVG hat der Betriebsrat die allgemeine Aufgabe, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu fördern; diese Förderungspflicht hat er bei der Ausübung seines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu beachten, was jedoch nicht notwendig zum Vorrang der Interessen einzelner Beschäftigter führt, die Familienpflichten zu erfüllen haben, da die Betriebsparteien hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen und der Folgen der von ihnen gesetzten Regeln einen Beurteilungsspielraum und eine Einschätzungsprärogative haben.

2. Bedenken gegen die Wahrung des Beurteilungsspielraums können sich im Einzelfall daraus ergeben, dass sich der Betriebsausschuss bei seiner Beschlussfassung zur Begründung seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Arbeitszeitwunsch der Arbeitnehmerin ausdrücklich ("um eine Begründung festzulegen") auf den Inhalt des von der Personalreferentin der Arbeitgeberin vorformulierten Schreibens, welches ausschließlich die Ansicht der Arbeitgeberin wiedergibt, bezieht und aus dem Sitzungsprotokoll keinerlei Anhaltspunkte für eine Berücksichtigung der Situation der Arbeitnehmerin und eine Abwägung der Einzel- und Kollektivinteressen erkennbar sind; wird darüber hinaus im Sitzungsprotokoll ausgeführt, dass man im Falle einer Befürwortung des Änderungswunsches der Arbeitnehmerin den Eindruck einer Bevorzugung der Arbeitnehmerin wegen ihrer Mitgliedschaft im Betriebsrat befürchtet, hat der Betriebsausschuss damit das Neuverteilungsverlangen der Arbeitnehmerin auch unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG gerade auch deshalb abgelehnt, weil sie Betriebsratsmitglied ist.

3. Eine Regelungsabrede zwischen der Arbeitgeberin und ihrem Betriebsrat kommt nicht wirksam zustande, wenn die vom Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnete Erklärung nicht von einem ordnungsgemäß zustande gekommenen Beschluss des Betriebsausschusses gedeckt ist und es somit an einer Wirksamkeitsvoraussetzung der Regelungsabrede fehlt.

4. Eine wirksame Übertragung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zur selbständigen Erledigung auf den Betriebsausschusses gemäß § 27 Abs. 2 BetrVG setzt voraus, dass der Umfang der übertragenen Aufgaben hinreichend bestimmt ist; aus Gründen der Rechtssicherheit sind im schriftlichen Übertragungsbeschluss die übertragenen Befugnisse so genau zu umschreiben, dass der Zuständigkeitsbereich des Ausschusses eindeutig feststeht und zweifelsfrei feststellbar ist, in welchen Angelegenheiten der Betriebsausschuss anstelle des Betriebsrats rechtsverbindliche Beschlüsse fassen kann, wozu es ausreicht, wenn im Übertragungsbeschluss die betreffende Norm durch Mitteilung des Paragraphen zur Benennung des übertragenen Rechts angegeben ist.

5. Trägt die Arbeitgeberin vor, dass dem Ausschuss unter anderem Teilzeitwünsche der Beschäftigten zur selbständigen Erledigung übertragen worden sind, lässt sich daraus der Zuständigkeitsbereich des Ausschusses nicht eindeutig ableiten; insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ausdrücklich übertragen hat, da es auch denkbar ist, dass die Übertragung der Angelegenheit "Teilzeitwünsche der Beschäftigten" lediglich die in § 80 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BetrVG genannte allgemeine Aufgabe des Betriebsrats, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu fördern, beinhaltet.

 

Normenkette

BetrVG § 27; TzBfG § 8; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; BetrVG § 27 Abs. 2; TzBfG § 8 Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1; BetrVG § 78 S. 2, § 80 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 87 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 09.04.2014; Aktenzeichen 4 Ca 2302/13)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 9.4.2014 - 4 Ca 2302/13 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und - auch zur Klarstellung - wie folgt neu gefasst:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit auf 30 Stunden und Verteilung dieser Arbeitszeit auf die Wochentage Montag bis Freitag, jeweils von 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr, zum 30.1.2014 anzunehmen.
    2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Die Klägerin hat 20 % und die Beklagte 80 % der erstinstanzlichen Kosten zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Verringerung und Neuverteilung ihrer Arbeitszeit.

Die Klägerin hat bei der Beklagten von 2004 bis 2007 ihre Berufsau...

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