Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame betriebsbedingte Kündigung bei unterlassener Massenentlassungsanzeige des Insolvenzverwalters in Gemeinschaftsbetrieb

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer Personalreduzierung im Gemeinschaftsbetrieb zweier Unternehmen, ist für die Anzeigepflicht nach § 17 Abs.1 KSchG auf die Zahl der insgesamt von allen beteiligten Arbeitgebern zu Entlassenden im Verhältnis zur Zahl der im Gemeinschaftsbetrieb in der Regel Beschäftigten abzustellen.

2. Erstattet nur einer der Arbeitgeber für die in seinem Unternehmen erfolgenden Entlassungen eine Anzeige nach § 17 KSchG, während der andere wegen Nichterreichens der Verhältniszahlen des § 17 Abs. 1 KSchG bezogen auf die von ihm Beschäftigten die Anzeige unterlässt, kann sich ein von der Anzeige nicht erfasster Arbeitnehmer auf die zu niedrige Angabe der Anzahl der zu Entlassenden mit der Folge der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung berufen.

3. Die unterlassene Anzeige wird auch im Fall des § 125 Abs.1 InsO nicht dadurch geheilt, dass der Massenentlassungsanzeige des einen Unternehmens ein Interessenausgleich mit Namensliste beigefügt wird, aus dem sich die Anzahl der insgesamt zu Entlassenden, einschließlich derer des Partnerunternehmens ergibt.

 

Normenkette

InsO § 125; KSchG § 17; BGB § 134; BetrVG § 1 Abs. 1 S. 2; InsO § 125 Abs. 1-2; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, § 17 Abs. 1, 3 S. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Lingen (Entscheidung vom 14.03.2013; Aktenzeichen 3 Ca 341/12)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen (Ems) vom 14.03.2013 - 3 Ca 341/12 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Der am 00.00.1956 geborene, ledige Kläger ist seit dem 01.02.1982 bei der H. AG tätig. Sein Bruttoverdienst betrug zuletzt 3.171,30 €.

Die H. AG bildete mit der H. NC GmbH am Standort C-Stadt einen Gemeinschaftsbetrieb, für den auch bei der letzten Betriebsratswahl ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt wurde.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 30.08.2012 wurde sowohl über das Vermögen der H. NC GmbH als auch der H. AG das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Schreiben vom 30.08.2012 erklärte der Beklagte dem Kläger gegenüber die Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Beachtung der Kündigungsfrist des § 113 InsO mit Wirkung zum 30.11.2012. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 30.08.2012 zu.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schlossen der Beklagte und der Betriebsrat noch am 30.08.2012 einen Interessenausgleich mit Namensliste/Sozialplan. Der Interessenausgleich, wegen dessen genauen Wortlaut auf die Anlage 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 22.11.2012 (Bl. 23 - 44 d. A.) verwiesen wird, sah vor, dass - ausgehend von 106 Mitarbeitern im Gemeinschaftsbetrieb - insgesamt 28 Mitarbeiter von einer Vertragsbeendigung betroffen sein sollten. Von diesen 28 Mitarbeitern waren 25 Mitarbeiter für die H. NC GmbH und 3 Mitarbeiter - darunter der Kläger - für die H. AG tätig. In der dem Interessenausgleich als Anlage 1 angefügten Namensliste sind diese 28 Mitarbeiter einschließlich des Klägers aufgelistet (Anlage 1 zum Beklagtenschriftsatz vom 22.11.2012, Bl. 42 d. A.). Welche Arbeitnehmer der Namensliste zum Interessenausgleich vom 30.08.2012 bei der H. AG tätig waren, ist in der zweiten Spalte ("ArbG") der Namensliste an dem Eintrag "AG" zu erkennen. Der Beklagte erstattete nur für die zu kündigenden Arbeitnehmer der Schuldnerin "H. NC GmbH" unter Beifügung des Interessenausgleichs mit Namensliste eine Anzeige nach § 17 KSchG. In dieser Anzeige war der Kläger nicht angeführt; sie bezog sich hinsichtlich der Gesamtzahl nur auf die zu Entlassenden der H. NC GmbH.

Der Kläger hat mit seiner beim Arbeitsgericht am 19.09.2012 eingegangenen Kündigungsschutzklage die soziale Rechtmäßigkeit der Kündigung und ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung gerügt und mit am 11.03.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz bestritten, dass der Beklagte vor Ausspruch der Kündigungen die erforderliche Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG bei der Bundesagentur für Arbeit erstattet hat.

Der Kläger hat beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 30.08.2012 - zugestellt am 30.08.2012 - zum 30.11.2012 aufgelöst wird, sondern ungekündigt darüber hinaus fortbesteht.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Kesselwärter zu einem Bruttomonatsgehalt von 3.500,00 € brutto weiter zu beschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass eine Betriebsänderung und ein rechtswirksamer Interessenausgleich mit Namensliste vorgelegen hätten, so dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der ausgesprochenen Kündigung beendet worden sei. Auch sei der Betriebsrat ordnungsgemäß vor Ausspruc...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge