Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausstrahlung des inländischen Betriebes auf einen im Ausland tätigen Arbeitnehmer. Unwirksame betriebsbedingte Kündigung bei unterlassener Anhörung des Betriebsrats

 

Leitsatz (amtlich)

Angesichts der zunehmenden internationalen Verflechtungen, der Globalisierung unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung, der zunehmenden Konzernstrukturen und Matrixstrukturen von Unternehmen müssen die Anforderungen, die an die Ausstrahlung eines inländischen Betriebes an einen ausländischen Arbeitnehmer gestellt werden, im Interesse eines effektiven Arbeitnehmerschutzes herabgesetzt werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Vereinbarung deutschen Rechts führt nicht ohne weiteres dazu, dass der persönliche Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes schon dann eröffnet ist, wenn die Arbeitgeberin einen Betrieb führt, in dem ein Betriebsrat gewählt worden ist und die Parteien ein Arbeitsverhältnis verbindet. Vielmehr ist gerade auch bei einem im Ausland tätigen Arbeitnehmer die Zugehörigkeit dieses Arbeitnehmers zu dem in Deutschland gelegenen Betrieb festzustellen.

2. Nicht aus dem Territorialitätsprinzip des Betriebsverfassungsrechts sondern aus dem persönlichen Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes folgt, dass grundsätzlich nur solche Arbeitnehmer der Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes unterfallen, die in inländischen Betrieben beschäftigt sind.

3. Von diesem Grundsatz ist für im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer dann eine Ausnahme zu machen, wenn der inländische Betrieb auf diese Arbeitnehmer ausstrahlt. Dabei geht es nicht um eine Ausstrahlung des Betriebsverfassungsgesetzes in das Ausland sondern um eine Ausstrahlung des inländischen Betriebes auf den im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer.

4. Zur Beurteilung dieser Ausstrahlungswirkung gelten für den persönlichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes und des Betriebsverfassungsgesetzes dieselben Maßstäbe. Denn für beide Gesetze gilt weitgehend ein einheitlicher Betriebsbegriff.

5. Dient die Auslandstätigkeit eines Arbeitnehmers jedenfalls dazu, den übergeordneten Zweck eines internationalen Konzerns zu fördern, erfüllt die Arbeitgeberin als inländisches Unternehmen einen Hilfszweck, indem sie diese Tätigkeit durch Personalüberlassung unterstützt und fördert. Insofern hat der für das inländischen Unternehmen im Ausland tätige Arbeitnehmer teil an diesem Betriebszweck der Förderung des übergeordneten Konzernzwecks.

 

Normenkette

BetrVG § 102; KSchG §§ 1, 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3; BetrVG § 102 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Lingen (Entscheidung vom 11.08.2016; Aktenzeichen 1 Ca 41/16)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 11.08.2016 - 1 Ca 41/16 - wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22.01.2016 nicht zum 31.08.2016 beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger vorläufig zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den 31.08.2016 hinaus fortzubeschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen fristgemäßen Kündigung und um Weiterbeschäftigung.

Die Beklagte ist Teil der der X Gruppe, einem internationalen Konzern der Öl- und Erdgasindustrie. Während der Hauptsitz der X Gruppe im schottischen Aberdeen liegt, organisiert die Beklagte jedenfalls den gesamten europäischen Bohrbetrieb. Sie führt einen einzigen Betrieb, nämlich in C-Stadt. Dort werden ständig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, es ist ein Betriebsrat gewählt worden.

Der gesamte Konzern ist weltweit im Bereich der Ölförderung tätig.

Der am 0.0.1953 geborene Kläger ist jedenfalls seit dem 10.04.2001 bei der Beklagten als Vorsteher der Instandhaltung zu 11.930,00 $ brutto monatlich beschäftigt. Sein Arbeitsort war im Wesentlichen seit 2004 Libyen. In diesem Zusammenhang legen die Parteien zwei Arbeitsverträge vor, der erste ist von beiden Parteien unterschrieben und galt ab dem 07.09.2004, der zweite weist als Gültigkeitsdatum den 15.12.2012 aus und ist nur von einem Repräsentanten der Beklagten und nicht vom Kläger unterschrieben. Welcher der beiden Verträge maßgebend ist, ist zwischen den Parteien streitig. Beide Verträge enthalten auf Bl. 2 unter Ziffer 1. folgende Formulierung:

"1. POSITION UND EINSATZORT

Der Mitarbeiter verpflichtet sich zur Erfüllung der für seine Position geforderten Aufgaben an dem Arbeitsort gemäß der Position entsprechenden Stellenbeschreibung. Der Mitarbeiter führt jedoch tageweise auch alle solche Aufgaben anderer Positionen aus, für die er möglicherweise von dem Unternehmen beauftragt wird, so dass das Unternehmen jegliche am Arbeitsort erforderlichen Arbeiten ausführen kann. Wird dem Mitarbeiter dauerhaft eine Position eines höheren oder niedrigeren Arbeitsentgeltes zugewiesen, erhält der Mitarbeiter die Vergütung entsprechend zum höheren oder niedrigeren Satz....

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