Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialauswahl und Auswahlrichtlinien

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Sachdienlichkeit einer Klagänderung in der Berufungsinstanz.

2. Vereinbaren die Betriebspartner in einer Auswahlrichtlinie für die Vorauswahl der betriebsbedingt zu kündigenden Arbeitnehmer ein Punkteschema, das dem der Entscheidung des BAG vom 18.01.1990 (2 AZR 357/89, AP Nr. 19 zu § 1 KSchG 1969 – Soziale Auswahl) zugrunde liegenden entspricht, so ist dies nicht grob fehlerhaft.

3. Wendet der Arbeitgeber bei der abschließenden individuallen Abschlussprüfung, welche Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen zu entlassen sind, in der Auswahlrichtlinie angeführte soziale Gesichtspunkte lediglich konkret an, ist die von ihm getroffene Entscheidung nun auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen.

4. Wird als weiterer in die Entscheidung über die Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer einzubeziehender Gesichtspunkt in der Richtlinie die besondere Pflegebedürftigkeit unterhaltsberechtigter Angehöriger aufgeführt und sieht der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer, der aufgrund der Pflegebedürftigkeit eines Angehörigen starken häuslichen Verpflichtungen unterliegt und deshalb auf dem Arbeitsmarkt schlechter vermittelbar ist, als schutzwürdiger an als Arbeitnehmer, die solchen Beschränkungen nicht unterliegen, so ist dies nicht grob fehlerhaft.

 

Normenkette

SchG § 1K; BGB § 612a; ZPO § 533

 

Verfahrensgang

ArbG Lingen (Urteil vom 06.02.2002; Aktenzeichen 2 Ca 155/01)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 06.02.2002 – 2 Ca. 155/01 – teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.278,23 EUR brutto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über den Basiszins seit dem 31.05.2002 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger nach einem erstinstanzlichen Wert von 8.048,32 EUR und nach einem zweitinstanzlichen Wert von 9.362,55 EUR auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Hilfsweise begehrt der Kläger im zweiten Rechtszug Zahlung einer Sozialplan-Abfindung.

Der am … geborene Kläger ist verheiratet. Er ist seit dem 15. März 2001 zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet. Er war seit dem 1. Juni 1996 im Betrieb der Beklagten in … tätig. Sein Bruttostundenlohn betrug bei einer 35,5 Stunden-Woche 23,67 DM. Im Betrieb der Beklagten in … werden Kalksandstein (KS) Kleinformate, KS-Planelemente und Porenbetonsteine hergestellt. Der Kläger wurde im Bereich Porenbetonsteine als Maschinenführer eingesetzt. Im März 2001 waren in diesem Betrieb 48, im April 2001 46 gewerbliche Arbeitnehmer tätig, die in den Bereichen Kleinformate und Planelemente sowie in der angegliederten Sägerei je zweischichtig, im Bereich Porenbetonsteine dreischichtig eingesetzt wurden. Insgesamt waren im Betrieb in … rund 60 Arbeitnehmer tätig.

Nach der Beweisaufnahme durch das Arbeitsgericht ist unstreitig geworden, dass es im Jahr 2000 in allen drei Produktionsbereichen zu einem erheblichen Absatzrückgang von mehr als 10% im Vergleich zum Vorjahr kam. Wegen ruinösen Preiswettbewerbs in der Branche ging der Umsatz überproportional um mehr als 15% zurück. Auch im Januar und Februar 2001 trat keine Besserung ein. Die Beklagte entschloss sich darauf hin, in allen drei Produktionsbereichen sowie in der Sägerei je eine Schicht zu streichen. Die Arbeit in den verbliebenen Schichten konnte von 36 gewerblichen Arbeitnehmern verrichtet werden. Auf den Schichtenplan des Betriebes in … (S. 2 f. des Schriftsatzes der Beklagten vom 17.9.2001, Bl. 79 f. d.A.) wird Bezug genommen.

Die Beklagte vereinbarte mit dem Betriebsrat des Betriebes in … am 12. März 2001 eine Auswahlrichtlinie. Zugleich schlossen die Betriebspartner einen Sozialplan, der Abfindungsleistungen für die Arbeitnehmer vorsah, die auf eine Kündigungsschutzklage verzichteten. Hinsichtlich der Einzelheiten beider Regelungen wird auf die Betriebsvereinbarungen vom 12. März 2001 (Bl. 27–29 d.A.) Bezug genommen.

Mit dem Kläger vergleichbar waren die auf S. 5 f. des Schriftsatzes der Beklagten vom 21. Mai 2001 aufgezählten 34 gewerblichen Arbeitnehmer. Auf diese Aufstellung wird verwiesen (Bl. 22 f. d.A.). Die Beklagte traf auf Basis der Auswahlrichtlinie vom 12. März 2001 unter diesen 35 Arbeitnehmern eine Vorauswahl und nahm am 16. März 2001 unter Einbeziehung des Betriebsrats eine ausführliche individuelle Abschlussprüfung vor. Daraus ergab sich die aus der Anlage B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 21. Mai 2001, auf die Bezug genommen wird (Bl. 30 d.A.), ersichtliche Reihenfolge. Der Betriebsrat billigte diese Reihenfolge ausdrücklich, was er durch die Abzeichnung mit „ok” und Unterschrift der Betriebsratsmitglieder zum Ausdruck brachte.

Der Kläger weist nach dem von den Betriebspartnern vereinbarten Punkteschema – einschließlich seines zweiten, am 15. März 2001 geborenen Kindes, das von der Beklagten bei der Berechnung bereits berücksichtig...

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