Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfolgreiche Anfechtung einer Betriebsratswahl. Verstoß gegen § 20 Abs. 1 Satz 2 BetrVG durch Einflussnahme in das passive Wahlrecht wegen Einsammeln von Briefwahlunterlagen durch Arbeitgeberin und Wahlbewerber

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im Betriebsverfassungsrecht hat der allgemeine Grundsatz der freien Wahl im Verbot der Wahlbehinderung und der Wahlbeeinflussung in § 20 Abs. 1 und 2 BetrVG seinen Ausdruck gefunden.

2. Bei der Entscheidung nicht zu wählen, darf der Wahlberechtigte keinem unzulässigen Druck ausgesetzt werden. Dies macht § 108 Abs. 1 StGB deutlich, der unter bestimmten Voraussetzungen auch die Nötigung, überhaupt zu wählen, unter Strafandrohung stellt.

3. Eine unzulässige Drucksituation entsteht, wenn die Aufforderung an den Wahlberechtigten zu wählen mit dem gezielten Hinweis und dem Vorbehalt verbunden werden kann, der Wahlberechtigte habe, wie sich aus den Wahlunterlagen ergebe, von seinem Wahlrecht noch nicht Gebrauch gemacht. Der Wahlberechtigte befindet sich in diesem Fall nicht mehr in derselben Situation wie derjenige, über dessen Wahlverhalten keine sicheren Informationen vorliegen. Anders als dieser kann er sich einer Diskussion über sein Wahlverhalten nicht mit dem Hinweis entziehen, der andere wisse doch gar nicht, ob er überhaupt gewählt habe. Vielmehr ist er dem Druck ausgesetzt, sich dafür rechtfertigen zu müssen, noch nicht gewählt zu haben. Auch muss er verstärkt befürchten, sich die Kritik oder die Geringschätzung Dritter zuzuziehen, wenn er trotz der gezielten Ansprache weiterhin nicht zur Wahl geht. Solange der Gesetzgeber keine Wahlpflicht einführt, ist diese Drucksituation kein notwendiger oder gar gewollter Bestandteil des demokratischen Wahlverfahrens. Sie ist vielmehr mit dem Grundsatz der Wahlfreiheit nicht vereinbar.

 

Normenkette

BetrVG §§ 19-20

 

Verfahrensgang

ArbG München (Beschluss vom 11.02.2009; Aktenzeichen 37 BV 166/08)

 

Tenor

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München – Gz.: 37 BV 166/08 – vom 11.02.2009 wird abgeändert und die Betriebsratswahl vom 10.04.2008 im Bezirk M. wird für unwirksam erklärt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

A.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Im Unternehmen der am Verfahren beteiligten Arbeitgeberin sind in einem Tarifvertrag nach § 3 BetrVG bundesweit die Regionen festlegt, für die Betriebsräte gewählt werden. Am 10.04.2008 fand in dem im Tarifvertrag benannten Bezirk M. eine Betriebsratswahl statt. Das Wahlergebnis wurde am 10.04.2008 bekannt gegeben. Die Liste „v.” erhielt 43 Stimmen, die Liste „W.” 46 Stimmen, neun Stimmen waren ungültig. Von den sieben Mitgliedern des Betriebsrats für den Bezirk M. stammten drei aus der Liste „v.” und vier aus der Liste „W.”.

Mit einem am 23.04.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz fochten die Beteiligten zu 1. bis 4, wobei die Beteiligten zu 1. bis 3. zugleich die Betriebsratsmitglieder aus der Liste „v.” sind, die Betriebsratwahl vom 10.04.2008 an.

Die Beteiligten zu 1. bis 4. haben vorgebracht, die Arbeitgeberin habe die Betriebsratswahl zugunsten der Liste „W.”, die nach ihrer Ansicht eine von der Arbeitgeberin initiierte und gelenkte Liste sei, beeinflusst und damit gegen § 20 Abs. 2 BetrVG, wonach eine Betriebsratswahl nicht beeinflusst werden dürfe, verstoßen.

1. Die Beteiligten zu 1. bis 4. haben ausgeführt, dass vor der Betriebsratswahl am 18.12.2007 eine von der Verkaufsleiterin Frau Ki. initiierte betriebliche Weihnachtsfeier für einen handverlesenen Beschäftigtenkreis von ca. 40 bis 50 Beschäftigten stattgefunden habe, wobei die Einladungen durch die Bezirksleiterinnen Frau M. We. und Frau N. Schr. erfolgt seien, die zugleich eine Werbeveranstaltung für die Liste „W.” gewesen sei. Sie haben darauf verwiesen, dass im Rahmen der Weihnachtsfeier die Listenführerin der Liste „W.”, Frau E. Schr., zugleich die Mutter der Bezirksleiterin Nadine Schr., die Möglichkeit gehabt habe, sich auf der Weihnachtsfeier vorzustellen und für ihre Liste zu werben.

Die Beteiligten zu 1. bis 4. haben behauptet, die Weihnachtsfeier am 18.12.2007 sei eine konspirative Werbeveranstaltung der Arbeitgeberin für die ihr nahestehende Liste „W.” gewesen, da die Verkaufsleiterin Frau Ki. die Kosten dieser Weihnachtsfeier übernommen habe. Eine solche Kostenübernahme sei ein außergewöhnlicher Vorgang gewesen und nach Erinnerung der Beteiligten zu 1. in den 19 Jahren ihrer Beschäftigung bei der Arbeitgeberin noch nie erfolgt.

Das Vorliegen einer Werbeveranstaltung am 18.12.2007 für die Liste „W.” habe sich nach Auffassung der Beteiligten zu 1. bis 4. auch daraus ergeben, dass der Wahlvorstand am 12.12.2007 bestellt wurde und als sofortige Reaktion der Unternehmensleitung auf die Tatsache, dass eine Wahl durchgeführt werden sollte, sehr kurzfristig eine Einladung zu einer Weihnachtsfeier am 18.12.2007 erfolgt sei.

2. Die Beteiligten zu 1. bis 4. haben weiter ausgeführt, dass sich eine Einflussnahme der Arbeitgeberin zugunsten der List...

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