Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers nach Anzeigeerstattung durch Lebensgefährten der Arbeitnehmerin. Arbeitnehmerin, richterlich angeordneter Durchsuchung und Presseberichterstattung. Schadensersatz nach „whistleblowing”

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach der Rspr. des BVerfG verstößt eine Handhabung des Schadensersatzrechts, die den gutgläubigen Strafanzeigeerstatter mit dem Risiko des Schadensersatzes für den Fall belastet, dass seine Anzeige nicht zum Beweis des behaupteten Vorwurfs führt, gegen Art. 2 Abs. 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip. Mit den Grundgeboten des Rechtsstaats ist es deshalb nicht vereinbar, wenn derjenige, der in gutem Glauben und nicht leichtfertig ohne erkennbaren Grund eine Strafanzeige erstattet hat, Nachteile dadurch erleidet, dass sich seine Behauptung nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder nicht aufklärbar erweist (BVerfG aaO – LS –; ebenso: BVerfG 02.07.2001 – 1 BvR 2049/00 – AP BGB § 626 Rn. 170 unter II 1. a).

2. Nach diesem Grundsatz blieb die Schadensersatzklage eines Krankenhauses gegen eine dort beschäftigte Ärztin und deren Lebensgefährten ohne Erfolg. Das Krankenhaus hatte seine Ersatzforderung damit begründet, dass es durch die von den beiden Personen anonym erstatteten Strafanzeigen, die deshalb durchgeführte staatsanwaltschaftliche Durchsuchung und die anschließende „Pressekampagne” geschädigt worden sei, weil die noch am Tag der Durchsuchung erfolgte Unterrichtung der Medien durch die Staatsanwaltschaft zu einer „verheerenden Berichterstattung” geführt habe und zu einem gegenüber den Vorjahren signifikanten Absturz der Zahl der Operationen und der Behandlungsfälle. Nach dem unterbreiteten Sachverhalt war nicht festzustellen, dass die Anzeigen wider besseres Wissen oder leichtfertig ohne erkennbaren Grund erstattet worden waren.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 826, 824

 

Verfahrensgang

ArbG Münster (Urteil vom 29.10.2010; Aktenzeichen 4 Ca 272/10)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 29.10.2010 – 4 Ca 272/10 – wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung der Beklagten zu 1) wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) nicht verpflichtet ist, der Klägerin über den mit der Teilklage geltend gemachten Betrag hinaus weiteren Schadensersatz zu leisten.

Auf die Anschlussberufung des Beklagten zu 2) wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2) nicht verpflichtet ist, der Klägerin über den mit der Teilklage geltend gemachten Betrag hinaus weiteren Schadensersatz zu leisten.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt als Anstalt des öffentlichen Rechts das Universitätsklinikum M1 (UKM). Die Klägerin nimmt die Beklagten zu 1) und 2) auf Schadensersatz wegen rückläufiger Patientenzahlen in ihrer Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (THG) ab dem Sommer 2008 in Anspruch. Die Beklagte zu 1) ist Herzchirurgin und stand vom 01.07.2007 bis zum 30.09.2008 in einem Arbeitsverhältnis zu der Klägerin. Der Beklagte zu 2) ist der Lebensgefährte der Beklagten zu 1). Der Beklagte zu 2) verfügt nicht über eine ärztliche Ausbildung.

Die Klägerin beschäftigt im Universitätsklinikum ca. 7.200 Arbeitnehmer und versorgt jährlich ca. 43.000 Patienten stationär. Zu den Kliniken gehört auch die Klinik und Poliklinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (THG), deren Direktor Herr Univ.-Prof. Dr. med. H1-H. S1 ist. Der THG-Klinik ist das Zentrum für Erwachsene mit angeborenen und erworbenen Herzfehlern angegliedert (EMAH). Diese Einrichtung wird von dem eingetragenen Verein „Fördergemeinschaft Zentrum für angeborene Herzfehler Universitätsklinikum M1” finanziell mitgetragen.

Die W4 W5-Universität M1 berief die Beklagte zu 1) mit Wirkung zum 01.07.2007 auf die W 3-Stiftungs-Professur „Operative Therapie von angeborenen Herzfehlern, insbesondere im Erwachsenenalter, an der Medizinischen Fakultät”. Mit Wirkung zum selben Zeitpunkt stellte die Klägerin die Beklagte zu 1) als Chefärztin der Abteilung EMAH der THG ein. Die W4 W5-Universität M1 wies die Beklagte zu 1) für die Zukunft mit Wirkung zum 01.09.2011 oder früher in die W 3 Professur für „Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie” in der Medizinischen Fakultät ein, abhängig vom Zeitpunkt des Eintritts des bisherigen Klinikdirektors Prof. Dr. med. S1 in den Ruhestand. Die Klägerin stellte die Beklagte zu 1) mit Wirkung zum selben zukünftigen Zeitpunkt als Direktorin der Klinik und Poliklinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie ein.

Seit Anfang Oktober 2007 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Klinikdirektor Prof. Dr. med. S1 sowie weiteren ärztlichen Mitarbeitern der THG und der Beklagten zu 1). Mit Schreiben vom 14.11.2007, der Beklagten zu 1) zugegangen am 28.11.2007, kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31.12.2007. Gegen diese Kündigung erhob die Beklagte zu 1) Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Münster. Unter dem 12./13.03.2008 schlossen die Klägerin, die W4 W5-Universität und d...

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