Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch eines Arbeitnehmers auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bei der Durchsetzung seines Individualanspruchs auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements

 

Leitsatz (amtlich)

Der Arbeitnehmer hat gegen seinen Arbeitgeber einen Individualanspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Dieser Anspruch folgt zwar nicht ohne weiteres aus der öffentlich-rechtlichen Norm des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, jedoch aus § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 84 Abs. 2 SGB IX als Konkretisierung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

Ein Anspruch auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zum BEM-Verfahren besteht für den Arbeitnehmer mangels gesetzlicher Regelung und unter Berücksichtigung des nicht formalisierten BEM-Verfahrens nicht.

 

Normenkette

SGB IX § 84 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 2; SGB IX § 84 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 17.06.2014; Aktenzeichen 2 Ca 262/14)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 17.06.2014 - 2 Ca 262/14 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Durchführung der Verfahren nach § 84 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX unter Hinzuziehung seines Prozessbevollmächtigten.

Der bei der Beklagten langjährig beschäftigte Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 70.

Der Kläger war seit dem 19.05.2012 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Er leidet unter einer Reihe von Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit, u. a. auch einer Einschränkung seiner kognitiven Fähigkeiten, die es ihm nach eigener Einschätzung unmöglich machen, ein Präventionsverfahren bzw. betriebliches Eingliederungsmanagement ohne seinen Rechtsanwalt durchzuführen.

Mit Schreiben vom 08.01.2014 wandte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt U, an die Beklagte und verlangte die Einleitung/Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements. Hierauf teilte die Beklagte per E-Mail vom 09.01.2014 mit, dass am folgenden Tag ein BEM-Gespräch mit dem Kläger stattfinden solle unter Beteiligung auch seiner Ehefrau, des Betriebsrats sowie der Schwerbehindertenvertretung. Zugleich teilte die Beklagte mit, dass sie kein BEM-Gespräch unter Beteiligung des Prozessbevollmächtigten des Klägers führen werde.

Zu einem BEM-Gespräch kam es anschließend nicht mehr.

Mit seiner am 29.01.2014 eingereichten Klage hat der Kläger von der Beklagten die Durchführung eines Präventionsverfahrens und eines betrieblichen Eingliederungsmanagements im Beistand seines Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt U begehrt. Er hat gemeint, die Verfahren hätten ausschließlich in Anwesenheit seines Rechtsanwaltes stattzufinden, da er angesichts seiner Erkrankung und seiner kognitiven Einschränkung nicht hinreichend in der Lage sei zu einer eigenständigen umfassenden Vertretung. Zur Ausübung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts sei es erforderlich, Rechtsanwalt U zu den entsprechenden Gesprächen mit heranzuziehen.

Der Kläger hat beantragt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, mit dem Kläger, dieser vertreten und im Beistand seines Bevollmächtigten: U, ein Präventionsverfahrens gemäß § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen angesichts eingetretener Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis des Klägers und die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt einzuschalten, um alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis des Klägers möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
  2. Die Beklagte wird verurteilt, mit dem Kläger, dieser vertreten und im Beistand seines Bevollmächtigten: U, ein betriebliches Eingliederungsmanagement i. S. d. § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen und mit der zuständigen Interessenvertretung i. S. d. § 93 SGB IX, der Schwerbehindertenvertretung und zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit des Klägers möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz des Klägers erhalten werden kann.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass ein Rechtsschutzbedürfnis auf Durchführung eines BEM-Gesprächs nicht bestehe, da der Kläger nach entsprechender Einladung die Teilnahme verweigert habe. Ein Anspruch auf Durchführung eines BEM-Gesprächs in Gegenwart eines Anwalts bestehe ebenso wenig.

Das Arbeitsgericht Iserlohn hat durch Urteil vom 17.06.2014 die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Es könne dahinstehen, ob dem Kläger ein Anspruch auf Durchführung der genannten Verfahren bestehe. Denn der Kläger habe jedenfalls keinen Anspruch, die Verfahren ausschließlich in Gegenwart des Rechtsanwaltes U durchzuführen. Bei den nicht formal ausgestalteten Verfahren des § 84 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX handele es sich um innerbetriebliche V...

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