Entscheidungsstichwort (Thema)

Fragerecht des Arbeitgebers bei Einstellung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Einstellung eines Bewerbers ist die Frage nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ebenso wie die Frage nach Vorstrafen nur eingeschränkt zulässig.

Die Frage nach „innerhalb der letzten 3 Jahre anhängig gewesen[en]” Ermittlungs-verfahren der Staatsanwaltschaft ist regelmäßig unzulässig, soweit sie sich auf

Ermittlungsverfahren bezieht, die im Zeitpunkt der Befragung abgeschlossen sind, ohne dass es zu einer Verurteilung gekommen ist.

Ob eine Ausnahme zu machen ist, wenn abgeschlossene Ermittlungsverfahren für die in Aussicht genommene Arbeitstätigkeit in spezifischer Weise einschlägig sind, konnte im zu entscheidenden Fall dahingestellt bleiben.

Nach diesen Grundsätzen ist die ordentliche Kündigung eines angestellten Haupt-schullehrers innerhalb der Probezeit wegen Verstoßes gegen das Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB unwirksam, wenn sie damit begründet wird, der Lehrer habe bei Beantwortung der Frage nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren der letzten 3 Jahre mehrere eingestellte Ermittlungsverfahren nicht angegeben (Einstellungen nach §§ 153 I, 153 a StPO / Einstellung unter Verweisung auf Privatklage).

 

Normenkette

BGB § 242; KSchG § 4

 

Verfahrensgang

ArbG Detmold (Urteil vom 28.04.2010; Aktenzeichen 2 Ca 1577/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 15.11.2012; Aktenzeichen 6 AZR 339/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 28.04.2010 – 2 Ca 1577/09 – teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 12.11.2009 nicht aufgelöst worden ist.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren darüber, ob das Arbeitsverhältnis durch eine hilfsweise ordentliche Kündigung vom 12.11.2009 aufgelöst worden ist.

Der Kläger ist 1961 geboren. Er ist ausgebildeter Diplomingenieur. Am 17.07.2009 bewarb er sich als sogenannter Seiteneinsteiger auf eine Stellenausschreibung des beklagten Landes für eine Tätigkeit als Lehrer an der Hauptschule B1. Das Bewerbungsgespräch in der Schule verlief positiv. Das beklagte Land teilte dem Kläger mit, er werde über die Bezirksregierung D1 ein Einstellungsangebot erhalten. Der Kläger wurde aufgefordert, anlässlich der Einstellung in den öffentlichen Dienst eine vorformulierte zwei Textseiten umfassende „Belehrung und Erklärung” auszufüllen und zu unterschreiben. In der „Belehrung und Erklärung” heißt es u.a. (Bl. 22, 23 GA):

„2 VORSTRAFEN UND ANHÄNGIGE STRAF- ODER ERMITTLUNGSVERFAHREN

2.1 Belehrung

Nach § 51 des Bundeszentralregisters darf sich ein/e Bewerber/in als unbestraft bezeichnen und braucht er/sie den einer Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren, wenn die Verurteilung nicht in ein Führungszeugnis oder nur in ein solches für Behörden aufzunehmen oder im Zentralregister zu tilgen ist.

Ein/e Bewerber/in ist verpflichtet, gegenüber einer obersten Landesbehörde auch übe diejenigen Verurteilungen Auskunft zu geben, die nicht in ein Führungszeugnis oder nur in ein solches für Behörden aufzunehmen sind

[…]

2.3 Erklärung

Ich versichere, dass gegen mich kein gerichtliches Strafverfahren und kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen eines Vergehens oder Verbrechens anhängig ist oder innerhalb der letzten 3 Jahre anhängig gewesen ist.

…„

Der Kläger unterschrieb diese Erklärung am 07.09.2009. Am 08.09.2009 unterzeichneten die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Wegen des Inhalts des befristeten Arbeitsvertrages wird auf die eingereichte Kopie Bezug genommen (Bl. 25-28 GA). Ab dem 15.09.2009 unterrichtete der Kläger an der Hauptschule B1.

Im Oktober 2009 erhielten die Schule und die Bezirksregierung den nachfolgenden anonymen Hinweis (Bl. 80 GA):

„Wir weisen darauf hin, dass an der Hauptschule B1 ein Lehrer, der unter Verdacht des Kindesmissbrauchs steht (Hr. B2), eingestellt wurde. Wir bitten um höchste Aufmerksamkeit, um weitere Vorfälle zu vermeiden.”

Die Bezirksregierung D1 leitete das Schreiben an die Staatsanwaltschaft P2 weiter. Diese übersandte unter dem 03.11.2009 eine Vorgangsliste, aus der hervorging, dass gegen den Kläger in den letzten drei Jahren wie folgt ermittelt worden war (Bl. 66 GA):

Aktenzeichen/Eingangsdatum

Delikt

Tatzeit Tatort

Erledigung/Entscheidung

Erled.Datum

Mitbeschuldigte

Bemerkungen

271 Js 1046/09 02.09.2009

§ 240 StGB

27.08.2009 B6

Einst. – § 153 I StPOEinstellung – § 153 I StPO(Geringfügigkeit)

03.09.2009

111 Js 559/08 15.08.2008

§ 266a Abs. 1 StGB

00.00.2003 B6

e.E. – § 153 a I S. 2 Nr. 2 StPO endg. Einst. § 153 a I S. 2 Nr. 2 StPO(Geldbetrag für gemeinnützige Einrichtung oder Staatskasse)

31.10.2008

271 Js 301/08 18.03.2008

§ 123 StGB

28.02.2008 B6

Einst.-Verweisung auf PrivatklageEinstellung – Verweisung auf Privatklage

07.04.2008

271 Js 304/08 18.03.2008

§ 123 StGB

11.03.2008 B6

Sonstige Erledigung

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