Entscheidungsstichwort (Thema)

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Betriebsunfall. Verschulden. Zahlung von Verletztengeld durch die Berufsgenossenschaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Schuldhaft i.s.v. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG handelt der Arbeitnehmer, der gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei eigenem Verschulden des Arbeitnehmers ist ausgeschlossen, weil es unbillig wäre, den Arbeitgeber mit der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zu belasten, wenn der Arbeitnehmer zumutbare Sorgfalt sich selbst gegenüber außer Acht gelassen und dadurch seine Arbeitsunfähigkeit verschuldet hat.

2. Bei einem Arbeitsunfall kann Verschulden i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG insbesondere dann zu bejahen sein, wenn der Arbeitnehmer gröblich gegen Anordnungen des Arbeitgebers oder gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat.

 

Normenkette

EZFG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1; SGB X § 115 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Siegen (Urteil vom 11.10.2006; Aktenzeichen 2 Ca 751/06)

 

Tenor

Unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 11.10.2006 – 2 Ca 751/06 – wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.821,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.05.2006 zu zahlen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Arbeitgeberin ihres Versicherten M3xxxx M2xxx Entgeltfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall für die Zeit vom 01.05.2005 bis zum 22.05.2005 aus übergegangenem Recht geltend.

Der am 12.01.13xx geborene Versicherte M3xxxx M2xxx ist seit dem 01.09.1997 im Betrieb der Beklagten als Maschineneinrichter und Maschinenbediener an Schraubenpressen tätig. Zu den Bedienungstätigkeiten gehören regelmäßig auch Einstellarbeiten an diesen Maschinen.

Am 19.04.2005 hatte er die Schraubenpresse AT-1010 umzurüsten. Dazu musste er ein Abschneidmesser, das jeweils für den gerade konkret verwendeten Draht eingesetzt wird, vom Messerbalken lösen und durch ein neues Messer ersetzen. Das Messer wird durch gekonterte Muttern vom Typ M 16 am Messerbalken befestigt. Am Messerbalken befand sich an diesem Tag nicht eine ordnungsgemäße M 16 Mutter, sondern eine auf etwa die Hälfte der normalen Höhe abgedrehte Mutter. Der Versicherte M2xxx setzte einen Ringschlüssel an, der von der abgedrehten Mutter nur zur Hälfte ausgefüllt wurde. Bei dem Versuch, diese abgedrehte Mutter zu lösen, rutschte er mit dem Ringschlüssel ab und schlug mit der rechten Hand gegen den Maschinenkörper. Dabei zog er sich eine Platzwunde am rechten Zeigefinger mit einer Endgliedfraktur zu. Wegen der Einzelheiten der Verletzung wird auf den Durchgangsarztbericht des D2. K5xxx D3xxxx vom 19.04.2005 (Bl. 5 d.A.) verwiesen.

Die letzte Generalüberholung der Schraubenpresse AT-1010 durch den japanischen Hersteller fand am 01.12.2003 statt. Nach der Ersatzteilliste wurde keine Mutter ausgetauscht. Weder bei dem Angebot noch bei der Bestellung der Reparatur wurde eine M16-Mutter aufgelistet oder berechnet (siehe Schreiben der Firma S4xxx S6xxxx vom 17.08.2006, Bl. 74 d.A.).

Am 07.02.2005 wurde durch den in der Instandhaltung beschäftigten Mitarbeiter M1xx, der zum damaligen Zeitpunkt noch Sicherheitsbeauftragter war, eine Störung im Materialeinzug dieser Maschine beseitigt. Materialeinzug und Messerbalken stehen in einem unmittelbaren aufeinanderfolgenden Bezug. Eine fehlerhafte Mutter am Messerbalken wurde von dem Mitarbeiter M1xx in diesem Zusammenhang nicht gemeldet oder ausgetauscht.

Die letzte Umrüstung des Messerbalkens fand am 07.04.2005 in der Zeit zwischen 13.19 Uhr und 19.45 Uhr statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Versicherte M2xxx Spätschicht von 13.15 Uhr bis 20.33 Uhr und war an dieser Presse eingesetzt.

Bei der Beklagten besteht die Anweisung, dass etwaige Mängel an einer Maschine unverzüglich zu melden sind. Die Meldung hat gegenüber der Instandhaltung, dem Meister oder der bei der Beklagten beschäftigten freigestellten Sicherheitsfachkraft zu erfolgen. Bei der Beklagten finden regelmäßig Belehrungen aller Mitarbeiter über dieses Vorgehen in solchen Fällen statt. Die letzte Arbeitssicherheitsunterweisung des Versicherten M2xxx, die sich mit der Manipulation von Sicherheitseinrichtungen an Maschinen und der Erläuterung von Betriebsanweisungen hierzu befasste, fand am 11.03.2004 statt.

Im Rahmen der Untersuchung des Unfalls durch den Dipl.-Ingenieur W4. M4xxxx konnte nach dem Unfalluntersuchungsbericht vom 05.09.2005 nicht geklärt werden, wann und durch wen die abgedrehte Mutter zur Befestigung des Abschneidmessers angebracht war. An der Maschine AT-1010 werden täglich mehrere Schichten gefahren. Der Versicherte M2xxx war nicht allein an dieser Maschine tätig. In dem Untersuchungsbericht wird als Unfallursache die Verwendung einer nicht normgerechten Sechskantmutter am Halter für ...

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