Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweilige Verfügung. Interessenausgleich. Unterlassungsanspruch. Betriebsänderung. Personalabbau. Unterschreiten. geringfügig. Zahlengrenze

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es besteht ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch des Betriebsrats darauf, Betriebsänderungen so lange zu unterlassen, bis von Seiten des Arbeitgebers den Anforderungen des § 111 S. 1 BetrVG Rechnung getragen worden ist. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung beider Beschwerdekammern des LAG Hamm.

2. Eine Betriebsänderung kann auch durch einen bloßen Personalabbau erfolgen. Dann muss sie eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfassen, wofür wiederum die Zahlen des § 17 KSchG maßgeblich sind.

3. Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in einem Urteil vom 17.08.1990 (1 AZR 445/89 – AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 34) in der das Gericht es für möglich gehalten hat, dass eine Betriebsänderung gem. § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG auch gegeben sein kann, wenn die als Richtschnur dienenden Zahlen des § 17 KSchG geringfügig unterschritten werden, kann aus Sicht der Kammer nicht gefolgt werden.

 

Normenkette

ArbGG § 85 Abs. 2; BetrVG §§ 111, 112a; KSchG § 17

 

Verfahrensgang

ArbG Detmold (Beschluss vom 24.06.2010; Aktenzeichen 2 BVGA 6/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 24.06.2010 – 2 BVGa 6/10 – wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

A.

Hinsichtlich des Tatbestandes wird Bezug genommen auf I. der erstinstanzlichen Entscheidung. Im Übrigen wird von der Darstellung abgesehen (vgl. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Entscheidungsgründe

B.

Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Betriebsrates ist unbegründet.

I.

Allerdings besteht entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ein im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Anspruch des Betriebsrates darauf, Betriebsänderungen so lange zu unterlassen, bis von Seiten des Arbeitgebers den Anforderungen des § 111 Satz 1 BetrVG Rechnung getragen worden ist. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung beider Beschwerdekammern des LAG Hamm seit der grundlegenden Entscheidung vom 28.08.2003 (13 TaBV 127/03 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 165; 26.02.2007 – 10 TaBVGa 3/07 – NZA-RR 2007, 469; 30.07.2007 – 10 TaBVGa 17/07 – AuR 2008, 121; 30.07.2007 – 13 TaBVGa 16/07; 30.04.2008 – 13 TaBVGa 8/08; 30.05.2008 – 10 TaBVGa 9/08, jeweils m.w.N.).

Nur so kann nämlich sichergestellt werden, dass der Betriebsrat die ihm durch §§ 111, 112 BetrVG zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen kann, nämlich nach erfolgter Unterrichtung im Zuge der zwingend vom Gesetzgeber vorgegebenen Beratung die Arbeitnehmerinteressen argumentativ in den Entscheidungsprozess des Unternehmers einfließen zu lassen. Bei der Gewährung eines Unterlassungsanspruchs geht es also ausschließlich darum, den Weg bis zum ordnungsgemäßen Zustandekommen eines Interessenausgleichs oder seines Scheiterns verfahrensrechtlich abzusichern. Andernfalls würde man den Betriebsrat hinsichtlich seiner Rechte auf rechtzeitige und umfassende Unterrichtung und auf Beratung einschließlich der Möglichkeiten, den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung zu ersuchen und/oder die Einigungsstelle anzurufen (§ 111 Satz 1,§ 112 Abs. 2 BetrVG), im Ergebnis schutzlos stellen.

Auch der Verweis auf § 113 Abs. 3 BetrVG kann den Unterlassungsanspruch nicht ausschließen. Es muss nämlich unterschieden werden zwischen dem kollektivrechtlichen Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat einerseits und dem individualrechtlichen Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer andererseits. Die Tatsache, dass einem betroffenen Arbeitnehmer ein von ihm geltend zu machender Nachteilsausgleichsanspruch zusteht, kann entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht dazu führen, die dem Betriebsrat als Kollektivorgan zustehenden Rechte nach §§ 111 f. BetrVG als ausreichend gesichert anzusehen.

Besonders anschaulich kommt das auch in dem von Fitting (25. Aufl., § 111 Rn. 138) vorgeschlagenen Weg zum Ausdruck. Danach hat das Gericht zur effektiven Durchsetzung der genannten Rechte im Wege der einstweiligen Verfügung über § 85 Abs. 2 ArbGG und § 935 ZPO gemäß § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen die zur Zweckerreichung erforderlichen Anordnungen zu treffen. In dem Rahmen kann nach § 938 Abs. 2 ZPO die einstweilige Verfügung darin liegen, eine Handlung zu verbieten, konkret also die (einstweilige) Durchführung der Betriebsänderung.

Sollte das Arbeitsgericht auch zukünftig der seit nunmehr fast sieben Jahren bestehenden gefestigten Rechtsprechung – soweit ersichtlich – als einziges im Bezirk des LAG Hamm immer noch nicht folgen können, ist es jedenfalls von der Verfahrensweise her nicht unproblematisch, dass zwar, wie in § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG für das Beschlussverfahren zwingend vorgegeben, immer in Kammerbesetzung entschieden wird, dass Arbeitsgericht aber davon absieht, parallel zu den Beisitzern auch die Beteiligten unter Verkürzung von Ladungsfristen zu einem beschleunigt anberaumten Anhö...

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