Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers (EuGH-Vorlage)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mit dem Tod des Arbeitnehmers erlischt dessen höchstpersönliche Leistungspflicht, damit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sein auf Befreiung von der Arbeitspflicht gerichteter Urlaubsanspruch. Demgegenüber werden der Anspruch auf Jahresurlaub und der auf Zahlung des Urlaubsentgelts nach der Rechtsprechung des EuGH in der Richtlinie 2003/88/EG als zwei Aspekte eines einzigen Anspruchs behandelt.

Dem EuGH wird zum einen die Frage vorgelegt, ob der mit dem Tod des Arbeitnehmers eintretende Untergang der einen Komponente des Urlaubsanspruchs, nämlich der Freistellung, den Untergang des Zahlungsanspruchs mit sich zieht.

Zum anderen wird der EuGH gefragt, ob der Anspruch auf Urlaubsabgeltung so an die Person des Arbeitnehmers gebunden ist, dass dies einer Beurteilung als reiner Geldforderung entgegensteht.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, den Urlaub von sich aus festzulegen.

Im Hinblick darauf, dass die Richtlinie Mindestvorschriften für die Sicherheit und Gesundheit des Arbeitnehmers bei der Arbeitszeitgestaltung enthält, stellt sich die Frage, ob eine effektive Umsetzung der Richtlinie eine dahingehende Verpflichtung des Arbeitgebers erfordert.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 251, 280, 286-287, 613, 1922 Abs. 1; BUrlG § 3 Abs. 1, §§ 7, 13, 15; Richtlinie 2003/88/EG Art. 7, 15; Richtlinie 2003/88/EG Art. 17

 

Verfahrensgang

ArbG Bocholt (Aktenzeichen 3 Ca 310/11)

 

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen vorgelegt:

  • 1.

    Ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub beim Tod des Arbeitnehmers in seiner Gesamtheit untergeht, nämlich neben dem nicht mehr zu verwirklichenden Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht auch der Anspruch auf Zahlung des Urlaubsentgelts?

  • 2.

    Ist Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen, dass der Anspruch auf eine finanzielle Vergütung des bezahlten Mindestjahresurlaubs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Weise an die Person des Arbeitnehmers gebunden ist, dass dieser Anspruch nur ihm zusteht, damit er die mit der Gewährung des bezahlten Jahresurlaubs verbundenen Zwecke der Erholung und Freizeit auch zu einem späteren Zeitpunkt verwirklichen kann?

  • 3.

    Ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG dahingehend auszulegen, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer im Hinblick auf den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung Urlaub bis zum Ablauf des Kalenderjahres oder spätestens bis zum Ablauf eines für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Übertragungszeitraums auch tatsächlich zu gewähren, ohne dass es darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer einen Urlaubsantrag gestellt hat?

 

Gründe

Die Parteien streiten um die Bezahlung von Urlaubsansprüchen beim Tod des Arbeitnehmers.

Die Klägerin ist die Ehefrau und Alleinerbin des am 19.11.2010 verstorbenen Arbeitnehmers J1 B1 der Beklagten. Dieser war seit dem 01.08.1998 bei der Beklagten beschäftigt. Er bezog zuletzt ein monatliches Gehalt von durchschnittlich 2.600,-- € brutto. Die Ehe wurde am 17.11.2010 geschlossen. Bereits am 26.10.2010 hatte Herr B1 die Klägerin testamentarisch als Alleinerbin eingesetzt.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen des Einzelhandels. Sie war Vollmitglied im Einzelhandelsverband NRW und ist nach ihren Angaben seit dem 01.08.2002 Mitglied ohne Tarifbindung. Beide Parteien gehen davon aus, dass der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Er enthält in § 15 urlaubsrechtliche Regelungen.

Herr J1 B1 war seit dem Jahre 2009 schwer erkrankt. Er war im Jahre 2009 vom 03.02. bis zum 02.10. sowie in der Folgezeit an weiteren Einzeltagen arbeitsunfähig. Im Jahre 2010 bestand Arbeitsunfähigkeit ebenfalls an einzelnen Tagen sowie durchgehend ab dem 11.10.2010.

Zum Zeitpunkt seines Todes besaß Herr J1 B1 nach Angaben der Beklagten 140,5 offene Urlaubstage, nach Angaben der Klägerin beliefen sich diese auf 146 Tage. Bei der Beklagten bestand jedenfalls bis einschließlich 2010 die Handhabung, dass Arbeitnehmer mit ihrem Einverständnis Urlaubsansprüche ansammeln konnten, sei es, weil sie für ein größeres Ereignis angespart wurden, sei es, weil sie wegen eines erhöhten Arbeitsanfalles nicht genommen werden konnten. Mit Schreiben vom 05.01.2011 teilte die Beklagte mit, dass ab 2011 darauf zu achten sei, dass der Resturlaub nicht weiter aufgebaut werde. Nach Angaben der Klägerin hatte Herr B1 im Jahre 2010 tatsächlich 15,5 Urlaubstage erhalten. Zur Ansammlung der Urlaubsansprüche ist es nach dem Vortrag der Klägerin gekomme...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge