Entscheidungsstichwort (Thema)

Einigungsstellenbesetzung. offensichtliche Unzuständigkeit. ausreichende vorherige Verhandlungen. vorzeitige Anrufung der Einigungsstelle. Auslegung einer Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 74 Abs. 2 S. 2 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass die förmliche Aufnahme von Verhandlungen stets Voraussetzung für ein gerichtliches Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG ist.

2. Nach Sinn und Zweck des gerichtlichen Bestellungsverfahrens, den Betriebsparteien im Konfliktfall möglichst zügig und ohne weitere Verzögerung durch eine der Betriebsparteien eine Einigungsstelle zur Seite zu stellen, ist die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig, wenn eine der Betriebsparteien aufgrund des bisherigen Verhaltens der anderen Partei die weitere Führung von Verhandlungen für aussichtslos hält, das Scheitern der Verhandlungen erklärt und die Einigungsstelle anruft. Ist der Regelungsgegenstand hinreichend bekannt, liegt es in der Hand jeder Seite, frei zu entscheiden, wann sie die Errichtung einer Einigungsstelle mit gerichtlicher Hilfe für notwendig erachtet. Hält ein Betriebspartner die förmliche Aufnahme von Verhandlungen aufgrund des bisherigen Verhaltens der Gegenseite für aussichtslos und ruft er das Arbeitsgericht zur Einsetzung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbGG an, so ist diese nicht deswegen offensichtlich unzuständig, weil der Verhandlungsanspruch nach § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG noch nicht oder noch nicht vollständig erfüllt worden ist. Andernfalls hätte es die verhandlungsunwillige Seite in der Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren.

 

Normenkette

ArbGG § 98; BetrVG § 74 Abs. 1 S. 2, §§ 77, 87 Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Detmold (Beschluss vom 10.12.2007; Aktenzeichen 3 BV 88/07)

 

Tenor

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 10.12.2007 – 3 BV 88/07 – wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

A

Die Parteien streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle.

Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Betrieb der Umwelttechnik mit ca. 180 Mitarbeitern. Im Betrieb der Arbeitgeberin ist ein Betriebsrat gewählt, der aus sieben Personen besteht. Vorsitzender des Betriebsrats ist der am 17.08.1957 geborene Arbeitnehmer E1 K1, der seit 1978 im Betrieb der Arbeitgeberin als Schlosser eingestellt wurde. Seit 1988 ist Herr K1 Betriebsratsvorsitzender. Ob Herr K1 aufgrund einer Regelungsabrede als Betriebsratsvorsitzender von seiner Arbeitsleistung freigestellt worden ist und aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit nahezu vollständig freigestellt werden muss, ist seit Jahren zwischen den Beteiligten streitig. Dieser Streit hat inzwischen zu zahlreichen Abmahnungen und Beschlussverfahren zwischen den Beteiligten geführt.

Hinsichtlich der betrieblichen Arbeitszeit haben die Betriebsparteien die regelmäßige Arbeitszeit des Betriebes durch eine Rahmenbetriebsvereinbarung „Arbeitszeit” vom 31.05.1996 (Bl. 7 ff. d A. 2 BV 7/06 Arbeitsgericht Paderborn = 10 TaBV 55/06 Landesarbeitsgericht Hamm) geregelt. Die Rahmenbetriebsvereinbarung wird durch verschiedene Arbeitszeitmodule für bestimmte Betriebsbereiche ergänzt.

Ziffer 9 der Rahmenbetriebsvereinbarung vom 31.05.1996 lautet:

„9 Beilegung von Differenzen

9.1 Ergeben sich bei der Anwendung und Auslegung dieser Rahmen-Betriebsvereinbarung oder deren Anlagen (Module) zu dieser Vereinbarung Meinungsverschiedenheiten, so sind diese zunächst zwischen Unternehmensleitung und Betriebsrat beizulegen. Dazu wird eine paritätische Kommission mit je 2 von der Unternehmensleitung und dem Betriebsrat zu benennenden Mitgliedern eingesetzt.

9.2 Falls keine Einigung erfolgt, wird das Einigungsverfahren nach § 24 des derzeit geltenden Manteltarifvertrages durchgeführt.”

Modul V zur Rahmenbetriebsvereinbarung „Arbeitszeit” enthält eine „Betriebsvereinbarung über die Anordnung von notwendiger Mehrarbeit” ebenfalls vom 31.05.1996 (Bl. 10 ff.d.A.). Ziffer 5.4 dieses Modul V lautet:

„Lehnt der Betriebsrat die Genehmigung von Mehrarbeitsstunden ganz oder teilweise ab, so bringt er dieses auf dem Formular zum Ausdruck. In diesem Fall hat zunächst eine Erörterung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber stattzufinden. Kommt es dabei zu keiner Einigung, kann die Einigungsstelle angerufen werden.”

Mit Schreiben vom 09.11.2007 (Bl. 4 ff.d.A.) beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zu Überstunden in den Abteilungen Fahrzeugbau, Behälterbau und Elektromontage für einen Zeitraum von vier Monaten.

Nachdem der Betriebsrat mit E-Mail vom 21.11.2007 (Bl. 14 d.A.) mitgeteilt hatte, er benötige noch weitere Informationen, teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit E-Mail vom gleichen Tage (Bl. 15 d.A.) u.a. folgendes mit:

„Sehr geehrter Betriebsrat,

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