Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersbenachteiligung rentennaher Beschäftigter durch Einigungsstellenspruch. Teilunwirksamer Einigungsstellenspruch zum Ausschluss von einer Sozialplanabfindung bei gekürztem Rentenanspruch nach Bezug von Arbeitslosengeld I. Feststellungsantrag des Betriebsrats zur Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Einigungsstelle verfügt über einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang sie die Nachteile einer Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen will, wobei der Normzweck des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht verfehlt werden darf, die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer zumindest zu mildern.

Hat der Betriebsrat den Spruch einer Einigungsstelle zu einem Sozialplan angefochten, führt dieser aber zu einer substantiellen Milderung der für die Arbeitnehmer entstandenen Nachteile, so kommt es auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens nicht an.

2. Der per Spruch einer Einigungsstelle beschlossenen Sozialplans ist wegen Verstoßes gegen § 75 BetrVG, §§ 1, 7 AGG insoweit unwirksam, als Arbeitnehmer von einer Sozialplanabfindung ausgeschlossen werden, die nach Bezug von Arbeitslosengeld I eine vorgezogene, gekürzte Rente in Anspruch nehmen können. Eine Gesamtunwirksamkeit des Sozialplans scheidet in so einem Fall aus, wenn die zur Verfügung gestellten Sozialplanmittel nicht voll ausgeschöpft wurden.

 

Normenkette

BetrVG § 76 Abs. 5, §§ 112, 75; AGG §§ 1, 7, 10 S. 3 Nr. 6; BetrVG § 112 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 02.02.2017; Aktenzeichen 29 BV 23/16)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 07.05.2019; Aktenzeichen 1 ABR 54/17)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 2. Februar 2017 (29 BV 23/16) abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle über den Sozialplan vom 14. September 2016, zugestellt am 22. September 2016, teilweise unwirksam ist, soweit solche Arbeitnehmer in § 1 Abs. 2 des Sozialplans von einer Sozialplanabfindung ausgeschlossen wurden, die nach Bezug von Arbeitslosengeld I eine vorgezogene (gekürzte) Altersrente in Anspruch nehmen können.

Im Übrigen wird der Antrag des Beteiligten zu 1) abgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird für beide Beteiligte zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten haben über die Wirksamkeit eines von der Einigungsstelle beschlossenen Sozialplans gestritten.

Der Beteiligte zu 1) (nachfolgend "Betriebsrat") ist der bei der Beteiligten zu 2) (nachfolgend "Arbeitgeberin") gebildete fünfköpfige Betriebsrat. Die Arbeitgeberin gehört zum Konzern einer mittelständischen, inhabergeführten Unternehmensgruppe mit Sitz im Hamburger Hafen und den Schwerpunkten Hafenlogistik und Hafendienstleistungen.

Die Arbeitgeberin betrieb im Hamburger Hafen über viele Jahre einen Terminalbetrieb für den Umschlag von konventionellem Stückgut und Projektladung. Zuletzt beschäftigte sie dort noch etwa 50 bis 60 Arbeitnehmer mit einer durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von 27,66 Jahren.

Der Betrieb wurde zum 31. Dezember 2016 geschlossen. Hintergrund der Betriebsstilllegung ist die (vorzeitige) Rückgabe der Terminalflächen an die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH), auf welchen u.a. die Arbeitgeberin ihren Terminalbetrieb unterhielt. Die Arbeitgeberin hatte mit der FHH bzw. H. (H. P. A.) im Jahr 2009 Verträge geschlossen, nach denen die bis zum 31. Dezember 2018 laufenden Pachtverträge vorzeitig gelöst werden konnten, allerdings nicht vor dem 31. Dezember 2012. Im Gegenzug wurden Entschädigungszahlungen vereinbart. In einer Vereinbarung vom 20. Dezember 2012 wurde sodann zwischen der H. und u.a. der Arbeitgeberin vereinbart, dass das Pachtverhältnis zum 31. Dezember 2016 enden würde. In § 2 dieser Vereinbarung wurde geregelt, dass die Arbeitgeberin der H. mitteilt, welche Anstrengungen sie unternommen hat, um die in § 6 der Rahmenvereinbarung beschriebene Verantwortung für die bestehenden Arbeitsplätze zu übernehmen. Ebenso verpflichtete sich die Arbeitgeberin hier, einen detaillierten Interessenausgleich und Sozialplan über die mit der Rückgabe der Mietfläche verbundene Betriebsänderung vorzubereiten und darin konkrete Maßnahmen darzustellen, um die Verlagerung und/oder den Abbau der Arbeitsplätze sozialverträglich zu gestalten, und - soweit möglich - eine Weiterbeschäftigung innerhalb der B.-Unternehmensgruppe anzubieten. Für die vorzeitige Rückgabe der Pachtflächen an die FHH erhielt die Arbeitgeberin - neben weiteren Unternehmen der B.-Unternehmensgruppe - eine Entschädigungszahlung.

Ausweislich einer gutachterlichen Äußerung nach § 81 Abs. 3 LHO des Rechnungshofs der FHH vom 9. Dezember 2014 erfolgten die Entschädigungszahlungen an die Arbeitgeberin im Hinblick auf die vorzeitige Rückgabe der Pachtflächen des Terminalbetriebs zu 37 % nach den AVB Hl (allgemeine Vertragsbedingungen für Hafen- und Industriegrundstücke). Zu 17 % erfolgten die Entschädigung...

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