Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialauswah. Altersgruppen. Unterhaltspflicht gegenüber Ehegatten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Sozialauswahl nach Altersgruppen auf der Grundlage eines Interessenausgleichs ist mit der Richtlinie 2000/78 EG vom 27. November 2000 vereinbar.

2. Ein Interessenausgleich, der bei der Gewichtung der Sozialfaktoren die Unterhaltspflichten gegenüber Ehegatten außer Betracht lässt, ist wegen Verstoßes gegen § 75 Abs. 1 BetrVG (teil-) unwirksam.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Krefeld (Urteil vom 02.02.2010; Aktenzeichen 4 Ca 866/09)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 28.06.2012; Aktenzeichen 6 AZR 682/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 02.02.2010 – 4 Ca 866/09 – teilweise abgeändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird für den Kläger bezogen auf die Kündigungsschutzanträge zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über eine betriebsbedingte Kündigung sowie einen Weiterbeschäftigungsanspruch.

Der im April 1962 geborene Kläger, verheiratet, zwei Kinder, war seit dem 6. März 1984 bei der I. Automotive H. GmbH & Co. KG bzw. deren Rechtsvorgängern gegen ein Monatsbruttogehalt von zuletzt – bei Eingruppierung in die Entgeltgruppe E 08 – nach seinen Angaben durchschnittlich 3.200,– EUR beschäftigt. Er hat einen GdB von 30 %. Geschäftsgegenstand der I. Automotive H. GmbH & Co. KG war die Herstellung und der Vertrieb von Profildichtungen für Personenkraftwagen insbesondere der Marken BMW, Daimler, VW und Audi. Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildete der Arbeitsvertrag vom 17. Februar 1984, welcher unter dem 26. April 2005 ergänzt wurde. In der Vertragsergänzung heißt es:

Der Arbeitnehmer ist seit dem 01.02.2001 als Schichtführer tätig. Eine konkrete Stellenbeschreibung, die Aufgaben, Ziele, Verantwortlichkeit und die Eingliederung in die betriebliche Hierarchie beschreibt, ist beigefügt.

Der Arbeitgeber ist jederzeit berechtigt, die Stellenbeschreibung zu ändern. Der Arbeitgeber ist darüber hinaus berechtigt, dem Arbeitnehmer andere Tätigkeiten zuzuweisen, soweit diese der beruflichen Qualifikation und den beruflichen Fähigkeiten des Arbeitnehmers entsprechen.

Im November 2007 wies die I. Automotive H. GmbH & Co. KG dem Kläger gegen seinen Willen eine Tätigkeit im Sperrlager zu. Auf Seiten des Klägers unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts geführte Verhandlungen blieben erfolglos. Auf den zur Akte gereichten Schriftwechsel wird Bezug genommen (Blatt 108 ff. der Akte).

Unter dem 25./26. Februar 2009 vereinbarte die I. Automotive H. GmbH & Co. KG mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan, betitelt „Betriebsvereinbarung über die Schaffung von Auffangstrukturen”. Diese sah eine Reduzierung der Belegschaft von 768 auf 512 Mitarbeiter vor. Unter anderem sollten im Sperrlager alle drei Arbeitsplätze entfallen.

§ 4 Ziffer 4.8 der Betriebsvereinbarung lautet:

Die Parteien sind sich darin einig, dass der vorläufige Insolvenzverwalter nach seiner Ernennung zum Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat einen den Vorschriften des § 125 InsO gerecht werdenden Nachtrag zu diesem Interessenausgleich abschließen wird, und stimmen dem schon jetzt zu. Der Betriebsrat wurde in diesem Zusammenhang über die Regelungen des § 113 InsO informiert. Danach beträgt die Kündigungsfrist zur Beendigung eines Dienstverhältnisses für den Insolvenzverwalter und den anderen Teil (Arbeitnehmer) drei Monate zum Monatsende, wenn nicht eine kürzere Frist maßgeblich ist.

Als „Anlage zur Betriebsvereinbarung” existiert eine Liste, auf der die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer aufgeführt waren. Der Betriebsvereinbarung war als „Anlage” zudem eine Auswahlrichtlinie gem. § 95 BetrVG über die soziale Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer beigefügt. In dieser heißt es:

1. Bildung von Beschäftigungsebenen sowie Altersgruppen für vergleichbare Arbeitnehmer

Um eine ordnungsgemäße Sozialauswahl vornehmen zu können, werden alle Mitarbeiter entsprechend ihrer Funktion/Tätigkeit Beschäftigungsebenen zugeordnet, innerhalb derer die horizontale Auswahl getroffen wird …;

Zur Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur innerhalb des Unternehmens wird die soziale Auswahl innerhalb der Beschäftigungsebenen in folgenden Altersgruppen durchgeführt:

  • • bis 25 Jahre
  • • bis 35 Jahre
  • • bis 45 Jahre
  • • bis 55 Jahre
  • • ab 56 Jahre

2. Sozialauswahlfaktoren gemäß § 1 IV KSchG

Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbaren nachfolgend, welche sozialen Gesichtspunkte im Rahmen der Sozialauswahl gemäß § 1 III Satz 1 KSchG im Verhältnis zueinander wie zu bewerten sind (§ 1 IV KSchG).

2.1 Folgende Bewertungskriterien sind im Rahmen der Sozialauswahl ausschließlich zu berücksichtigen:

  • Das Lebensalter
  • Die Betriebszugehörigkeit
  • Die Unterhaltspflichten gegenüber Kindern
  • Eine dem Unternehmen zum Stichtag bekannte

Schwerbehinderung ab 50 %

bzw. eine den schwerbehinderten Menschen anerkannte

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