Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung vor Beginn der Ausbildung. Diskriminierung wegen des Vermögens im Sinne von Art. 21 Abs. 1 EU-GR Charta

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Ausbildungsverhältnis kann bereits vor Beginn der Probezeit gemäß § 22 Abs.1 BBiG gekündigt werden, sofern nicht ausnahmsweise etwas anderes vereinbart worden ist.

2. Die Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses durch den Ausbildenden verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, sofern sie erfolgt ist, weil der Ausbildende (eine Sparkasse) aufgrund bestehender Verbindlichkeiten der Auszubildenden Zweifel an deren Geeignetheit für den Beruf der Bankkauffrau hat.

3. Artikel 21 Abs.1 EU-GR Charta, der eine Diskriminierung wegen des Vermögens untersagt, ist bei Kündigungen weder unmittelbar noch mittelbar anwendbar.

 

Normenkette

BBiG § 22 Abs. 1; EU-GR Charta Art. 21 Abs. 1; BGB § 242

 

Verfahrensgang

ArbG Mönchengladbach (Urteil vom 30.06.2011; Aktenzeichen 4 Ca 3402/10)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 30.06.2011 – AZ: 4 Ca 3402/10 – wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses.

Die am 05.01.1986 geborene Klägerin schloss mit der Beklagten am 29.01.2010 einen schriftlichen Ausbildungsvertrag. Danach sollte die Klägerin ab dem 01.08.2010 als Bankkauffrau ausgebildet werden. Es wurden eine Probezeit von vier Monaten sowie für das erste Ausbildungsjahr eine Vergütung in Höhe von 736,16 EUR brutto vereinbart. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Anlage 1, Bl. 3 – 4 d.A., Bezug genommen.

In einem Gespräch am 21.06.2010 wurde die Klägerin von Vertretern der Beklagten zu vermeintlichen Verbindlichkeiten befragt. Anlass des Gesprächs war eine von der Beklagten eingeholte Schufa – Auskunft, aus der sich angebliche Schulden der Klägerin ergaben. Die Klägerin überreichte im Rahmen des Gesprächs eine Liste, in der insgesamt Verbindlichkeiten in Höhe von 12.800,– EUR aufgezählt wurden. Wegen der Einzelheiten wird auf die mit der Überschrift „Schuldenregulierung RA S. Düsseldorf” versehene Aufstellung (Bl. 27 d.A.) verwiesen. Auf die Frage, wie sie die Verbindlichkeiten zurückführen wolle, teilte die Klägerin mit, die Summen würde ihr Großvater vorstrecken. Am 29.06.2010 folgte dann ein weiteres Gespräch der Parteien. Dabei teilte die Klägerin auf Nachfrage mit, sie habe bisher keinen Kontakt zu ihrem Großvater aufgenommen.

Mit einem Schreiben vom 05.07.2010 kündigte die Beklagte das Ausbildungsverhältnis „vor Beginn Ihrer Ausbildung zum 01.08.2010”. Unter dem Datum des 15.07.2010 stellte die Klägerin bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer einen Antrag auf Verhandlung vor dem Ausschuss zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden gemäß § 111 Abs.2 ArbGG. Die Schlichtungsverhandlung endete am 09.12.2010 mit folgendem Ergebnis: „Kein Spruch/kein Vergleich”. Daraufhin hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung vom 05.07.2010 mit der am 16.12.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 22.12.2010 zugestellten Klage geltend gemacht.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Es liege eine missbräuchliche Berufung auf die Probezeitbestimmungen des Berufsbildungsgesetzes vor. Sie hat darauf hingewiesen, dass laut einer Bescheinigung des Amtsgerichts Grevenbroich vom 06.12.2010 – unstreitig – bezüglich ihrer Person keine Eintragungen in der Schuldnerkartei vorlägen.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis der Klägerin durch schriftliche Kündigung der Beklagten vom 05.07.2010 zum 01.08.2010 nicht aufgelöst worden ist;
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endete, sondern zu unveränderten Bedingungen über den Beendigungszeitpunkt hinaus fortbesteht;
  3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1) zu den im Ausbildungsvertrag vom 29.01.2010 geregelten Arbeitsbedingungen als Bankkauffrau auszubilden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die Angaben der Klägerin zu den Schulden seien lückenhaft und widersprüchlich gewesen. Insgesamt hätten sie die Zuverlässigkeit und Geeignetheit der Klägerin im Umgang mit Geld mehr als zweifelhaft erscheinen lassen.

Das Arbeitsgericht Mönchengladbach hat die Klage mit Urteil vom 30.06.2011 abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne ein Berufsausbildungsverhältnis, soweit keine abweichende Regelung bestehe oder der Ausschluss der Kündigung sich nicht aus anderen Gesichtspunkten ergebe, bereits vor Antritt der Berufsausbildung gekündigt werden. Die Kündigung vom 05.07.2010 verstoße weder gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB noch sei sie sittenwid...

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