Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsübergang einer Steuerkanzlei

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Identität eines Steuerbüros ist gewahrt und ein Betriebsübergang nach § 613 a Abs. 1 BGB gegeben, wenn der bisherige Mandantenstamm und die Büroeinrichtung an den Erwerber veräußert und die Übernahme des bisherigen Personals erstrebt wird. Für die Wahrung der Identität einer solchen wirtschaftlichen Einheit ist nur erheblich, daß der Erwerber den Betrieb tatsächlich erhält und fortführt. Unerheblich ist, daß der Erwerber erwartete, ein zugelassenes Steuerbüro zu erwerben und deshalb den Kaufvertrag später zivilrechtlich angefochten hat, da es auf die Rechtsunwirksamkeit des dem Betriebsübergang zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts nicht ankommt.

2. Eine im Zusammenhang mir dem Betriebsübergang zuungunsten des Arbeitnehmers wirkende Änderungsvereinbarung (hier: schlechtere Vergütungsbedingungen) zwischen Arbeitnehmer und Erwerber ist wegen Umgehung des § 613 a BGB ohne das Vorliegen eines sachlichen Grundes unwirksam.

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Brandenburg (Urteil vom 04.11.1998; Aktenzeichen 3 Ca 1677/98)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Brandenburg an der Havel vom 04.11.1998 – 3 Ca 1677/98 – teilweise abgeändert:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 5.572,92 netto sowie DM 1.020,00 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 06.08.1998 zu zahlen.
  2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltrestforderungen der Klägerin.

Von einer Darstellung des unstreitigen Tatbestandes, dem weiteren Vorbringen der Parteien und ihrer Antragstellung in erster Instanz wird unter Hinweis auf, den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 38 b. 42 d. A.) gem. § 543 ZPO abgesehen. Das Arbeitsgericht Brandenburg hat mit seinem Urteil vom 04.11.1998 – 3 Ca 1677/98 – die Klage abgewiesen und den Streitwert auf DM 6.748,92 festgesetzt.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht Brandenburg erkannt, daß der Klägerin gegenüber der Beklagten keine Ansprüche auf Differenzzahlung zwischen der mit der Beklagten vereinbarten Vergütung und der mit ihrer Rechtsvorgängerin vereinbarten Vergütung zustehe, weil die Parteien eine neue vertragliche Abrede getroffen hätten. Der Klägerin stehe auch kein Anspruch gegen die Beklagte zu Verpflichtungen des früheren Betriebsinhabers, weil durch die erfolgte Anfechtung der Beklagten das dem Betriebsübergang zugrundeliegende Rechtsgeschäft als nichtig anzusehen sei.

Gegen das ihr am 14.01.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 15.02.1999 (Montag) Berufung eingelegt und diese am 10.03.1999 begründet.

Unter Vortrag von Rechtsansichten wendet sich die Klägerin gegen das Urteil und beantragt,

  • unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel – 3 Ca 1677/98 – vom 04.11.1998,
  • die Beklagte zu verurteilen, an sie DM 5.572,92 netto sowie DM 1.176,00 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 06.08.1998 auf den sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie begründet die von ihr mit Schreiben vom 25.08.1998 erklärte Anfechtung des Kaufvertrages vom 29.04.1998.

Im übrigen wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze.

 

Entscheidungsgründe

A.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthafte und dem Beschwerdewert gem. §§ 61 Abs. 1, 64 Abs. 2 ArbGG zulässige Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 518, 519, 222 ZPO.

B.

Die Berufung hat in der Sache im wesentlichen Erfolg. Die Klage ist zulässig und weitgehend begründet. Die Beklagte haftet neben dem bisherigen Arbeitgeber für Restentgeltforderungen der Klägerin vor dem 30.04.1998 und ist verpflichtet, den Differenzbetrag zwischen der niedrigeren Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien gegenüber der zum bisherigen Arbeitgeber der Klägerin zu zahlen. Soweit die Klägerin die Zahlung von vermögenswirksamen Leistungen an sie beansprucht, ist die Klage unbegründet.

I.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung rückständigen Entgelts gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber zu. Denn die Beklagte haftet als neue Inhaberin eines übergegangenen Betriebes neben dem bisherigen Arbeitgeber für fällige Forderungen, § 613 a Abs. 2 BGB.

1. Der von der Steuerkanzlei … unterhaltene Betrieb ist auf die Beklagte durch Rechtsgeschäft übergegangen.

Ausweislich der Vereinbarung vom 29.04.1998 war Gegenstand des Vertrages der Verkauf des Mandantenstammes der in … betriebenen Steuerkanzlei und des Büroinventars. Es handelte sich somit um einen Betriebsübergang i. S. v. § 613 a BGB.

§ 613 a BGB ist auszulegen und anzuwenden i. S. der Richtlinie 77/187/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahru...

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