Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung eines Lehrers wegen Züchtigung und Belästigung von Schutzbefohlenen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Schule ist nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Schulgesetz – BbgSchulG) zum Schutz der seelischen und körperlichen Unversehrtheit, der geistigen Freiheit und der Entfaltungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler verpflichtet. Die körperliche Züchtigung sowie andere entwürdigende Maßnahmen sind nach § 63 Abs. 1 Satz 3 BbgSchulG verboten.

2. Angesichts des besonders sensiblen Bereichs der sexuellen Selbstbestimmung müssen Lehrer nicht nur von jeglicher Übergrifflichkeit absehen, was selbstverständlich ist, sondern auch durch ein ihrem Auftrag angepasstes Verhalten den Eindruck einer solchen und insbesondere einer sexuellen Motivation verhindern. Jeglicher Anschein sexuell motivierten Verhaltens gegenüber den einem Lehrer anvertrauten Kindern muss zwangsläufig Ängste bei den betroffenen Eltern und den Kindern hervorrufen, die strikt zu vermeiden sind. Dazu ist insbesondere die Intimsphäre der Kinder uneingeschränkt zu wahren.

3. Die Anforderungen an ein Glaubhaftigkeitsgutachten, die der BGH insbesondere in seiner Entscheidung vom 30. Juli 1999 (1 StR 618/98 – NJW 1999, 2746) zusammengefasst hat, finden auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren uneingeschränkt Anwendung.

4. Einer psychologischen Sachverständigen ist es erlaubt, tatsächliche Angaben zu sammeln, soweit sie diese als Material für ihr Gutachten für erforderlich hält. Sie darf insoweit ua. Urkunden einsehen und Personen befragen (Stein-Jonas/Leipold vor § 402 Rn. 18). Der Grundsatz der Unmittelbarkeit steht solchen Ermittlungen der Sachverständigen nicht entgegen, weil es sich nicht um eine gerichtliche Beweisaufnahme und auch nicht um einen Ersatz dafür handelt.

5. Werden einem Lehrer fortgesetzte kontinuierliche Pflichtverstöße vorgeworfen, ist ein solcher Vortrag einlassungsfähig. Die in das Unterrichtsgeschehen eingebetteten Pflichtverletzungen müssen nicht in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich ist. Das gilt insbesondere, wenn ein Glaubhaftigkeitsgutachten zu dem Ergebnis geführt hat, dass die betroffenen Kinder den geschilderten Sachverhalt tatsächlich erlebt haben und gar nicht die Fähigkeit besitzen einen dem einschlägigen Muster entsprechenden Vortrag zu erfinden sowie fortzuschreiben.

6. Ein Grundsatz der „materiellen” Unmittelbarkeit (wonach nur diejenigen Beweismittel zulässig sind, die ihrem Inhalt nach der erheblichen Tatsache am nächsten stehen) ist weder dem Arbeitsgerichtsgesetz noch der Zivilprozessordnung zu entnehmen. Es steht den Parteien frei, auch bei vorhandenen unmittelbaren Beweismitteln sich auf die Benennung mittelbarer Beweismittel zu beschränken. Das können insbesondere Urkunden und Sachverständigengutachten sein, auch wenn Zeugen zur Verfügung stehen. Auf diesem Wege kann Opferschutzgesichtspunkten Rechnung getragen werden. Der Prozessgegner hat allerdings jederzeit die Möglichkeit, die Vernehmung der Zeugen durch entsprechende Beweisantritte zu erzwingen.

 

Normenkette

BGB § 626; StGB §§ 174, 176

 

Verfahrensgang

ArbG Potsdam (Urteil vom 18.03.2010; Aktenzeichen 7 Ca 2074/09)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Potsdam vom 18. März 2010 – 7 Ca 2074/09 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit außerordentlicher und ordentlicher Tat- und Verdachtskündigungen.

Der 1948 geborene Kläger begann 1968 seinen Vorbereitungsdienst bei dem Rat des Kreises in G.. Seitdem war er als Lehrer tätig, zuletzt bei dem beklagten Land. Bis 2006 unterrichtete er höhere Klassen an einer Schule in P.. Nach Auflösung dieser Schule im Jahr 2006 setzte ihn das beklagte Land an einer Grundschule ein. Dort war er zunächst als Klassenlehrer einer vierten Klasse und darüber hinaus auch in anderen Klassen tätig. Der Kläger war zunächst bei Eltern und Kindern wegen seiner lockeren Art und seiner Späße recht beliebt. In der vierten oder fünften Klasse kam es dann zu einem Vorfall, den die Kinder durchweg als schockierend empfanden. Der Kläger fasste einen Schüler an beiden Armen, hob ihn hoch und schüttelte ihn heftig. Die Eltern des Schülers wandten sich an die Schule. Es kam zu einer Aussprache, in deren Rahmen sich das Kind bei dem Kläger entschuldigte. Der Kläger entschuldigte sich auf Veranlassung der Schulleitung seinerseits bei den Eltern und dem Schüler. Der Schulverwaltung wurden die Einzelheiten erst anlässlich einer Vernehmung des Schülers R. am 16. September 2009 im vollen Umfang bekannt. Nicht besonders glücklich waren die Kinder auch darüber, dass der Kläger es ablehnte, mit ihnen Klassenfahrten zu unternehmen. In der Berufungsverhandlung begründete er das damit, dass er in der Nachwendezeit dazu nicht mehr bereit gewesen sei, weil er aufg...

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