Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Abmahnung bei fehlender Pflichtverletzung. Keine Erforderlichkeit eines biometrischen Zeiterfassungssystems. Gefährdungsbeurteilung als Voraussetzung für betriebsärztliche Vorsorgeuntersuchung

 

Leitsatz (amtlich)

1) Ein biometrisches Zeiterfassungsystem ist in aller Regel nicht erforderlich im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. b DSGVO, § 26 Abs. 3 BDSG.

2) Die Anordnung einer arbeitsmedizinieschen Pflichtvorsorgeuntersuchung ist nur als Maßnahme infolge einer Gefährdungsbeurteilung entsprechend § 5 ArbSchG zulässig. (§ 3 Abs. 1 ArbMedVV).

 

Normenkette

VO (EU) 2016/679 Art. 9; BDSG § 26; ArbMedVV § 3; GRCh Art. 31; BGB §§ 242, 1004

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 16.10.2019; Aktenzeichen 29 Ca 5451/19)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Oktober 2019 - 29 Ca 5451/19 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

III. Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.298,61 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier Abmahnungen im Zusammenhang mit einer biometrischen Zeiterfassung sowie einer Vorsorgeuntersuchung.

Der Kläger ist 57 Jahre alt (geb. .... 1962) und seit dem 1. Juni 2007 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger, die eine radiologische Praxis betreibt, als Medizinisch-technischer Radiologie-Assistent (MTRA) mit zuletzt 2.432,87 EUR brutto monatlich beschäftigt. Der Arbeitgeber behält sich nach § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages vor, den Kläger in anderen Arbeitsbereichen einzusetzen und ihm zumutbare Aufgaben zu übertragen, die seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten und seiner Berufserfahrung entsprechen, wenn dies aus betrieblichen oder in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Gründen geboten ist.

Bislang trugen die Mitarbeiter der Beklagten auf dem ausgedruckten und ausliegenden Dienstplan per Hand sowohl ihre geleisteten Arbeitszeiten ein als auch ihre Einsatzwünsche. In aller Regel wiesen die handschriftlich eingetragenen Arbeitszeiten auch geleistete Mehrarbeitsstunden aus. Gelegentlich wurden abweichende Dienstzeiten mündlich nachgeliefert.

Für eine lückenlos korrekte Zeiterfassung für die Abrechnung und um einen wöchentlichen auch den Wünschen der Mitarbeiter entsprechenden Dienstplan erstellen zu können, führte die Beklagte zum 1. August 2018 das Zeiterfassungssystem Model "ZEUS" der Firma I. GmbH nebst einer Personal-Einsatzplanung ein. Ob dieses System fehlerfrei funktionsfähig arbeitet, ist zwischen den Parteien streitig. Zu dem System gehört auch ein Terminal "IT 8200 FP".

Mit diesem System erfolgt entsprechend dem den Mitarbeitern mitgeteilten Datenblatt eine Identifikation über einen biometrischen Fingerabdruck. Konkret ist dieser in dem Produktblatt der Fa. I. wie folgt beschrieben:

Biometrische Erkennung

Das von I. eingesetzte Verfahren zur Identifikation oder Verifikation mittels Fingerabdruck speichert ausschließlich die Minutien (Koordination der Schnittpunkte) eines Fingerabdrucks.

Ein Auslesen der Daten aufgrund entsprechender Schutzmaßnahmen ist nicht möglich. Innerhalb des IT 8200 FP befindet sich nur eine Record-Nummer und die dazugehörigen Minutien. Ein Bezug zu einer natürlichen Person kann nicht hergestellt werden.

In einer E-Mail vom 27. Juli 2018 an die Beschäftigten wurden diese unter Beifügung von Datenblatt und Konformitätserklärung darüber informiert, dass ab 1. August 2018 das neue Zeiterfassungssystem der Firma I. in Betrieb genommen werde. Es wurde darauf hingewiesen, dass das System keine Fingerabdrücke speichere, sondern nur die Minutien. Diese würden in einen Zahlencode umgewandelt. Aus diesem ließen sich aber weder die Minutien noch ein Fingerabdruck reproduzieren. Es sei auch nicht möglich, diesen Zahlencode aus dem System auszulesen.

Ab dem 1. August 2018 würden nur noch die mittels Zeiterfassung ermittelten Arbeitszeiten gelten. Weiter wurde mitgeteilt, dass ab dem 1. September 2018 über dieses System auch der Dienstplan erstellt werde.

Der Kläger benutzte das Zeiterfassungssystem im August und September 2018 nicht. Er erfasste seine Arbeitszeiten weiter in der bisherigen Form. Darauf sprach die Beklagte dem Kläger unter dem 5. Oktober 2018 eine Abmahnung aus. Diese lautet im Wesentlichen:

in der vorvergangenen Woche haben wir Sie schriftlich angewiesen, das Zeiterfassungssystem ZEUS für die Erfassung Ihres Arbeitsbeginns und -endes zu verwenden. Leider können wir an den fehlenden Einträgen im Zeiterfassungssystem sehen, dass Sie sich dieser Anweisung bis heute widersetzen. Daher sind wir nun leider gezwungen, Sie hiermit abzumahnen.

Wir fordern Sie erneut auf, Ihren Dienstpflichten nachzukommen, indem Sie das Zeiterfassungssystem ZEUS mit dem dazugehörigen Fingerabdruck-Scanner ab sofort ordnungsgemäß nutzen. Sollten Sie unserer Anweisung weiterhin nicht Folge leisten, werden wir weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zu einer Kündigung ergreifen.

Nachdem d...

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