Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Stellenbewerbers bei Einladung des öffentlichen Arbeitgebers zum Vorstellungsgespräch unter Hinweis auf geringe Erfolgsaussicht

 

Leitsatz (amtlich)

Gemäß § 82 Satz 2 und 3 SGB IX hat der öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich. Ein öffentlicher Arbeitgeber macht den gesetzlich intendierten Chancenvorteil des schwerbehinderten Bewerbers zunichte, wenn er diesem zwar die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Aussicht stellt, gleichzeitig aber dem schwerbehinderten Bewerber mitteilt, dessen Bewerbung habe nach der "Papierform" nur eine geringe Erfolgsaussicht, weshalb der schwerbehinderte Bewerber mitteilen möge, ob er das Vorstellungsgespräch wahrnehmen wolle. Eine solch "abschreckende" Einladung begründet gemäß § 22 AGG die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung.

 

Normenkette

GG Art. 33 Abs. 2; SGB IX § 82 Sätze 2-3; AGG §§ 1, 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, § 15 Abs. 2, § 22

 

Verfahrensgang

ArbG Pforzheim (Entscheidung vom 05.06.2014; Aktenzeichen 6 Ca 9/14)

 

Tenor

  1. Die Berufung des beklagten Landkreises gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 05.06.2014 - 6 Ca 9/14 - wird zurückgewiesen.
  2. Der beklagte Landkreis hat die Kosten der Berufung zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger aufgrund einer behaupteten Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren geltend macht.

Der am 04.12.1964 geborene, ledige und keinen Kindern unterhaltspflichtige Kläger absolvierte nach einer Ausbildung zum Bürokaufmann und einem kurzzeitigen Studium der Wirtschaftswissenschaften von Oktober 1992 bis Juli 1999 ein Studium der Geschichts- und Sozialwissenschaften. Er schloss das Studium mit dem ersten Staatsexamen ab. Nach dem Referendariat von Februar 2000 bis Juni 2002 war er arbeitsuchend bzw. nahm an einer beruflichen Rehabilitation teil. Von März 2005 bis März 2012 war der Kläger bei verschiedenen Arbeitgebern, unterbrochen durch Zeiten von Arbeitslosigkeit tätig. Seit April 2012 ist der Kläger arbeitsuchend. Wegen der Einzelheiten wird auf den Lebenslauf des Klägers (Abl. 21 ff.) verwiesen. Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 100% schwerbehindert. Er ist derzeit in P. wohnhaft.

Anfang Juli 2013 schrieb der beklagte Landkreis die Stelle eines/einer Projektmanagers/in aus. Die Stellenausschreibung wurde in zwei Fassungen veröffentlicht, die sich allerdings nur darin unterscheiden, dass es in der einen Fassung zu Beginn des 2. Absatzes heißt: "Zur Verstärkung unseres Teams ..." (so Abl. 21) und in der anderen Fassung: "Zur Verstärkung unseres Teams Öffentlichkeitsarbeit/Europa ..." (so Anlage B 1). Die Stellenausschreibung lautet auszugsweise wie folgt:

"Projektmanager/in

Zu Ihren Aufgaben gehören u.a.

- Zentrale Projekte der Kreisentwicklung

- Planung und Umsetzung lokaler, regionaler und europäischer Projekte des Enzkreises

- Neue Form der Bürgerbeteiligung

Wir bieten Ihnen

- Ein abwechslungsreiches, verantwortungsvolles Aufgabenfeld

- Die Zusammenarbeit in einem engagierten und erfolgreichen Team

- Bezahlung nach TVöD.

Wir erwarten von Ihnen

- Ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit einem den Aufgaben entsprechenden Profil, z.B. Politik - Verwaltungswissenschaften oder Europa-Studien

- Ausgeprägtes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen

- Gute Fremdsprachenkenntnisse, mindestens Englisch in Wort und Schrift

- Eine gute Kommunikations- und Teamfähigkeit

- Eigenständiges konzeptionelles Arbeiten und die Fähigkeit, sich in komplexe Themen einzuarbeiten

- Hohe Einsatzbereitschaft, auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten

- Organisationsgeschick, Kreativität und Flexibilität."

Mit Schreiben vom 11.07.2013 bewarb sich der Kläger um die Stelle. In seinem Bewerbungsschreiben (Abl. 19 f und Anlage B 2) führte er das abgeschlossene Studium und seine zuletzt ausgeübten Tätigkeiten an. Er wies zudem auf seine Eigenschaft als Schwerbehinderter hin. Dem Bewerbungsschreiben waren ein tabellarischer Lebenslauf sowie die beiden Arbeitszeugnisse aus den letzten beiden Arbeitsverhältnissen beigefügt.

Mit Mail vom 12.07.2013 bestätigte der beklagte Landkreis den Eingang der Bewerbungsunterlagen und bat den Kläger gleichzeitig um etwas Geduld. Mit Mail vom 02.08.2013 (Abl. 16 und Anlage B 3) teilte der Leiter des Personal- und Organisationsamtes dem Kläger sodann Folgendes mit:

"Sehr geehrter Herr Z.,

für Ihre Bewerbung bedanken wir uns nochmals.

Unser Stellenangebot ist auf das Interesse von nahezu 100 Bewerberinnen und Bewerbern gestoßen, darunter eine ganze Reihe, deren Profil unseren Erwartungen an den Stelleninhaber oder die -inhaberin stärker entspricht als das Ihrige.

Als öffentlicher Arbeitgeber berücksichtigen wir Bewerbungen von Schwerbehinderten entsprechend den Zielen des Schwerbehindertenrechts, d.h. wir geben Schwerbehinderten a...

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