Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung eines Wertpapierberaters bei nachträglicher Hinzufügung der Beraternummer in Online-Wertpapieraufträgen ohne Wertpapierberatung. Hemmung der Kündigungsfrist während erforderlicher Aufklärungsbemühungen der Arbeitgeberin. Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die zeitliche Begrenzung des § 626 Abs. 2 BGB soll den Arbeitgeber nicht zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben. Solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, kann die Ausschlussfrist nicht anlaufen.

2. Zum Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine außerordentliche Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Wertpapierberater, der über ein Jahr lang in 47 Fällen im Computersystem der Arbeitgeberin Wertpapieraufträge von Kunden, die diese im Online-Banking ohne Wertpapierberatung aufgegeben haben, seine Beraternummer nachträglich hinzugefügt, um sich so unberechtigt den Vorteil einer darauf beruhenden leistungs- und erfolgsorientierten Vergütung zum Nachteil der Arbeitgeberin zu verschaffen, verstößt in erheblicher Weise gegen seine vertraglichen und gesetzlichen Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB.

2. Das sich Verschaffen eines unberechtigten finanziellen Vorteils auf Kosten der Arbeitgeberin durch rechtwidrige Einflussnahme auf das Computersystems stellt eine schwere Pflichtverletzung dar, verstößt gegen vertragliche Treu- und Rücksichtnahmepflichten und beeinträchtigt unmittelbar die berechtigten finanziellen Interessen der Arbeitgeberin auf Zahlung einer leistungsorientierten Vergütung; zudem wird das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers erschüttert, der der Durchsetzung eigener, unberechtigter Interessen ein höheres Gewicht einräumt als den offenkundigen Belangen der Arbeitgeberin an einem gesetzes- und vertragstreuen Verhalten der Beschäftigten.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1-2; BetrVG § 102 Abs. 1 S. 1, § 103 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mannheim (Entscheidung vom 29.09.2014; Aktenzeichen 14 BV 5/14)

 

Tenor

  1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 29. September 2014 (Az.: 14 BV 5/14) abgeändert und die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. ersetzt.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über einen Antrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.

Die Antragstellerin (nachfolgend: Arbeitgeberin) ist eine regionale ... bank und beschäftigt etwa 650 Arbeitnehmer. Der Antragsgegner ist der aus elf Mitgliedern bestehende Betriebsrat. Der am 00.00.1964 geborene, verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Beteiligte zu 3. ist der Betriebsratsvorsitzende. Er ist bei der Arbeitgeberin seit dem 1. September 1982 beschäftigt, zuletzt als Wertpapierberater im Wertpapiercenter mit einem Zeitanteil von 20%. Mit einem Zeitanteil von 80% ist er für Betriebsratsarbeit freigestellt. Zudem ist er seit 2010 Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Arbeitgeberin. Er erhält eine tarifliche monatliche Vergütung von EUR 3.950,76 brutto.

Die Mitarbeiter der Bank melden sich mit ihrer Beraterkennung und einem individuellen Kennwort im Banksystem an. Die Beraternummer führt zum Ausweis von Provisionen im Rahmen der Zielerreichung einer variablen Vergütungsvereinbarung, basierend auf einer Betriebsvereinbarung, die Ende 2012 unter Mitwirkung des Beteiligten zu 3. verhandelt und abgeschlossen wurde. Nach der dort enthaltenen Systematik führen Wertpapieraufträge, denen eine Beratung oder telefonischer Orderannahme durch einen Wertpapierberater als Spezialisten zugrunde liegt, zur Nettoprovisionsgutschrift, die dem Mitarbeiter im Rahmen seiner Zielerreichung zugerechnet wird nach einem bestimmten Berechnungssystem. Der Beteiligte zu 3. hat als Berater die Möglichkeit, sich alle Wertpapieraufträge eines Kunden im Banksystem anzeigen zu lassen und kann diese bearbeiten, solange diese noch nicht abgerechnet sind.

Der Beteiligte zu 3. hat im Zeitraum 1. Januar 2013 bis 23. Januar 2014 bei insgesamt 47 Orderaufträgen, die online durch die Kunden der Bank erteilt worden sind, seine Beraternummer nachträglich eingefügt (vgl. Aufstellung Akten 1. Instanz Bl. 67 ff.; I/67 ff.). In einem weiteren Fall erfolgte eine nachträgliche Zuweisung seiner Kennung, obwohl die Auftragsannahme ursprünglich durch einen anderen Berater erfolgt war. 10 Fälle betreffen den Januar 2013, 1 Fall den Juni 2013, jeweils 2 Fälle den Oktober und Dezember 2013 und 33 Fälle den Januar 2014. Der Beteiligte zu 3. ist regelmäßig am Donnerstag als Wertpapierberater für die Arbeitgeberin tätig. Die nachträgliche Eingabe seiner Beraternummer fand an nahezu sämtlichen Wochentagen statt. In den genannten Fällen liegt keine Beraterdokumentation vor, welche bei einer inha...

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