Entscheidungsstichwort (Thema)

Einigungsstellenspruch zur Wahl eines freizustellenden Betriebsratsmitgliedes und Minderheitenschutz. Antragsbefugnis und persönliche Betroffenheit. Anforderungen an die Annahme von Rechtsmissbrauch beim Abschluss einer Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 38 Absatz 2 Satz 5, 6 in Verbindung mit Satz 4 BetrVG hat die Einigungsstelle darüber zu befinden, ob die Wahl eines freizustellenden Betriebsratsmitgliedes sachlich nicht vertretbar ist. Ihre Entscheidung kann vom Arbeitsgericht daraufhin überprüft werden, ob sie den unbestimmten Rechts-begriff ‚sachlich nicht vertretbar’ verkannt oder den Minderheitenschutz beachtet hat.

2. Antragsbefugt im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren sind nicht einzelne Betriebsratsmitglieder, die an der Freistellungswahl teilgenommen haben, sondern nur dasjenige Betriebsratsmitglied, das in seiner Rechtsposition Freistellung durch den Spruch der Einigungsstelle betroffen ist.

3. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung, mit der auf eine an sich dem Betriebsrat zustehende Freistellung verzichtet wird, ist nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn es dafür sachliche Gründe gibt, die der Annahme entgegenstehen, es sei einziger Zweck der Betriebsvereinbarung, das freigestellte Betriebsratsmitglied nachträglich seines Rechts zu entheben.

 

Normenkette

BetrVG § 38 Abs. 2 Sätze 5-6, § 19

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Beschluss vom 30.11.2006; Aktenzeichen 28 BV 149/06)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 30.11.2006 – Aktenzeichen 28 BV 149/06 – abgeändert:

Die Anträge werden abgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

A

Zwischen den Beteiligten des Beschlussverfahrens sind die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs und einer Betriebsvereinbarung im Streit.

Im Betrieb der Antragsgegnerin (nachfolgend Arbeitgeberin) fanden am 08.05.2006 Wahlen zum Betriebsrat (Beteiligter Ziff. 6, weiterer Antragsgegner) statt. Die 654 wahlberechtigten Arbeitnehmer wählten 11 (drei weibliche, acht männliche) Betriebsratsmitglieder in der Zusammensetzung, die sich aus Seite 3 der Wahlniederschrift ergibt (vgl. Anlage 1, Bl. 10 und 12 der Akten 1. Instanz). In der konstituierenden Sitzung des Betriebsrates am 11.05.2006 wurden der Betriebsrat F. als Vorsitzender und die Betriebsrätin E. als Stellvertreterin gewählt. In der Sitzung vom 17.05.2006 fand die Wahl der zwei freizustellenden Betriebsratsmitglieder statt. Hierzu reichten die Antragsteller Ziff. 1 und 2 sowie zwei weitere Betriebsratsmitglieder eine Liste 1 als Wahlvorschlag ein, auf der der Betriebsrat H. (Antragsteller Ziff. 3) und die Betriebsrätin D. (Antragstellerin Ziff. 2) benannt sind (vgl. Anlage 3, Bl. 16 der Akten 1. Instanz). Gleichzeitig wurde geheime Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl beantragt. Die übrigen Betriebsratsmitglieder legten ihrerseits eine Liste vor, auf der der Betriebsratsvorsitzende und seine Stellvertreterin für die Freistellung vorgeschlagen wurden. Der Vorschlag der Minderheit (Liste 1) erhielt vier Stimmen, der Mehrheitsvorschlag (Liste 2) sieben Stimmen. Als freizustellende Betriebsratsmitglieder waren damit nach dem Höchstzahlverfahren nach d'Hondt der Betriebsratsvorsitzende F. (Liste 2) und der Betriebsrat H. (Liste 1) gewählt.

Die Arbeitgeberin forderte vom Betriebsrat eine Nachwahl, weil eine Beratung mit ihr vor der Wahl nicht stattgefunden habe. Abgestimmt gewesen sei, dass der bisherige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende H. seine bisher inne gehabte Freistellung noch bis zum Jahresende 2006 fortführen werde, um sie dann an die neue stellvertretende Vorsitzende E. zu übergeben. Eine Wiederholungswahl fand nicht statt. Am 31.05.2006 rief die Arbeitgeberin die Einigungsstelle an, die am 13.06.2006 zusammentrat. Auf Betriebsratsseite nahmen der Betriebsratsvorsitzende F. sowie der Betriebsrat K. teil, der mit anderen am 17.05.2006 die Liste 1 vorgeschlagen und Verhältniswahl beantragt hatte. Entsprechend dem Antrag der Arbeitgeberin beschloss die Einigungsstelle:

„Die zweite Freistellung wird ab sofort von Herrn H. auf die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Frau E. übertragen”.

Das Abstimmungsergebnis lautete im ersten Abstimmungsdurchgang drei Stimmen dafür, eine Stimme dagegen, eine Enthaltung (vgl. Protokoll der Eingungsstellensitzung gem. Anlage 5, Bl. 19 der Akten 1. Instanz).

Am 23.06.2006 leiteten die Antragsteller Ziff. 1 bis 4 das vorliegende Beschlussverfahren ein. Die Antragsschrift wurde der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat am 30.06.2006 zugestellt.

Mit Schreiben vom 11.07.2006 erklärte die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende gegenüber dem Betriebsrat ihren Verzicht auf die Freistellung unter der Voraussetzung, dass eine entsprechende Betriebsvereinbarung mit dem Arbeitgeber unterzeichnet werde (Bl. 65 der Akten 1. Instanz). Am 12.07.2006 schlossen die Arbeitgeberin und der Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung über die Zahl der freigestell...

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