Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit der Absenkung der Zahl der Regelfreistellungen im Wege der Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfallentscheidung zu einer rechtsmissbräuchlichen Absenkung der Zahl der Regelfreistellungen gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG von 5 auf 1 über eine Betriebsvereinbarung gem. § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG zum Zwecke der Verhinderung einer Freistellung zugunsten der Minderheitenliste.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Betriebsvereinbarung gilt auch über die Amtszeit des jeweiligen Betriebsrats hinaus.

2. Eine Betriebsvereinbarung, durch die die Zahl der Regelfreistellungen von Betriebsratsmitgliedern ausschließlich zu dem Zweck abgesenkt wird, eine Freistellung zu Gunsten der Minderheitenliste zu erreichen, ist rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam.

 

Normenkette

BetrVG § 38 Abs. 1 Sätze 1, 5, § 37 Abs. 2, § 77 Abs. 5-6

 

Verfahrensgang

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 08.06.2016; Aktenzeichen 22 BV 315/15)

 

Tenor

  1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 7 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 08.06.2016 (22 BV 315/15) wird zurückgewiesen.
  2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung zur Absenkung der Zahl der Freistellungen.

Die Beteiligte zu 8 (nachfolgend: Arbeitgeber) führt ein Unternehmen, das Reinigungsgeräte herstellt. Der Arbeitgeber beschäftigt in seinem Betrieb in W. mehr als 2.000 Arbeitnehmer. Der Beteiligte zu 7 (nachfolgend: Betriebsrat) ist der für den Betrieb in W. gewählte 19-köpfige Betriebsrat. Die Beteiligten zu 1 bis 6 (nachfolgend: Antragsteller) sind Mitglieder des Betriebsrats. Sie wurden für die Liste 1 (IG Metall) in den Betriebsrat gewählt.

Bis Ende März 2014 bestand der Betriebsrat noch aus 17 Mitgliedern, von denen zwei Mitglieder der IG Metall-Liste zugehörig waren. Dieser Betriebsrat wurde kurz vor Ablauf der am 29. März 2014 endenden Amtszeit durch gerichtliche Entscheidung (zuletzt LAG Baden-Württemberg 13. März 2014 - 6 TaBV 5/13) aufgelöst. Hintergrund dieser Entscheidung war die fortgesetzte Nichteinberufung von Betriebsversammlungen sowie der Versuch des (alten) Betriebsrats, die IG Metall von ihren Rechten nach §§ 43 Abs. 4, 46 BetrVG auszuschließen.

Die Wahl des neuen Betriebsrats fand am 10. März 2014 statt. Neben den sechs Antragstellern wurden in den Betriebsrat neun Vertreter der Mehrheitsliste 2 gewählt sowie jeweils zwei Vertreter der Listen 3 und 4. Die konstituierende Sitzung des neuen Betriebsrats fand am 17. März 2014 statt.

Am 18. März 2014 schloss der (mangels Rechtskraft der Auflösungsentscheidung) noch amtierende alte Betriebsrat mit dem Arbeitgeber auf der Grundlage einer Beschlussfassung des alten Betriebsrats vom selben Tage eine "Betriebsvereinbarung 02/2014 Freistellung von Betriebsratsmitgliedern gemäß § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG" (nachfolgend: BV Freistellung) (Bl. 17-18 d. Akte-ArbG). Darin heißt es auszugsweise:

"Vorbemerkung

Der Betriebsrat hat in den letzten Jahren die Regel-Freistellungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht vollständig in Anspruch genommen. Die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats war im Hinblick auf Freistellungen aus konkretem Anlass gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG vollumfänglich gewährleistet. Sie wird auch durch vorliegende Vereinbarung nicht eingeschränkt.

Die Betriebsparteien sind übereingekommen, eine geringere Zahl von Freistellungen als die Staffel des Gesetzes festzulegen, § 38 Abs. 1 Satz 5 BetrVG. Maßgebend dafür ist auch, dass die Betriebsratsarbeit zunehmend in Ausschüssen durchgeführt und erledigt wird und werden soll und jedes Betriebsratsmitglied für den Fall erforderlicher Ausschusstätigkeit nach § 37 Abs. 2 BetrVG freigestellt wird.

............

§ 2

Regelung

Die Betriebsparteien vereinbaren in Abweichung von § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, dass von seiner beruflichen Tätigkeit nur und ausschließlich ein Betriebsratsmitglied freizustellen ist. Hinsichtlich der Wahl dieses freizustellenden Betriebsratsmitglieds gilt § 38 Abs. 2 BetrVG.

§ 3

Inkrafttreten, Geltungsdauer

Diese Betriebsvereinbarung tritt am Tag ihrer Unterzeichnung in Kraft. Es gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen. Eine Kündigung ist frühestens zum 31.12.2015 wirksam möglich.

............."

Auf der Grundlage dieser BV Freistellung wählte der (neue) Betriebsrat nur ein freizustellendes Betriebsratsmitglied, nämlich den alten und neuen Vorsitzenden des Betriebsrats, welcher über die Mehrheitsliste 2 in den Betriebsrat gewählt wurde. Eine Anfechtung dieser Wahl der freizustellenden Betriebsräte erfolgte nicht.

Anträge der Antragsteller auf Kündigung der BV Freistellung wurden in den Betriebsratssitzungen vom 29. April 2014 und 28. Juli 2015 mehrheitlich abgelehnt.

Der Betriebsrat hat einen Großteil seiner Arbeit auf Ausschüsse übertragen. Es existiert im Betrieb W. ein Betriebsausschuss, ein Personalausschuss, ein Bauausschuss, ein Sozialausschuss, ein Rechtsausschuss, ein Infoausschuss und ein Zeitaufnahmeausschuss. Die Mitglieder dieser...

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