Rz. 78

Die Vermutungsregelung in Abs. 3 wurde mit dem SGB VII zum 1.1.1997 eingeführt. Sie betrifft die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Abs. 1. Nach der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 263/95) handelt es sich um einen Beweisgrundsatz, wonach der ursächliche Zusammenhang zwischen arbeitsplatzbezogenen Einwirkungen und einer in der Berufskrankheitenliste genannten Berufskrankheit unter bestimmten Voraussetzungen besteht. Diese gesetzliche Regel zur Beweiswürdigung lässt die Beweisanforderungen in der gesetzlichen Unfallversicherung ansonsten unberührt. Das bedeutet, dass im Einzelfall bestimmte Einwirkungen am Arbeitsplatz und eine bestimmte beim Versicherten aufgetretene Erkrankung im Vollbeweis gesichert sein müssen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so wird unter den in Abs. 3 genannten Voraussetzungen im Einzelfall vermutet, dass der Ursachenzusammenhang mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Vor Inkrafttreten des SGB VII ergab sich nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises nichts anderes. Auch die Regelungen zum Anscheinsbeweis reduzieren nicht die Anforderungen an den Nachweis der zugrunde gelegten Tatsachen. Vielmehr handelt es sich um eine aufgrund von Erfahrungssätzen über typische Geschehensabläufe entwickelte Vermutung, die der Gesetzgeber in Abs. 3 aufgenommen hat. Abs. 3 bezieht sich demnach nicht auf den Nachweis der schädigenden Einwirkung, sondern lediglich auf den Zusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung; die Vermutung erfasst nicht die Tatsache, dass berufsbedingte Einwirkungen im Einzelfall stattgefunden haben (BSG, Urteil v. 7.9.2004, B 2 U 25/03 R; Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 128 SGG Rz. 9).

2.6.1 Tatbestandliche Voraussetzungen

2.6.1.1 Gefahr der Erkrankung

 

Rz. 79

Zu fordern ist eine konkrete Gefahrenerhöhung im individuellen Einzelfall. Diese muss über die in Abs. 1 Satz 2 genannte Gefahrerhöhung hinausgehen (Ricke, in: KassKomm., § 9 SGB V Rz. 28). Dafür reicht es regelmäßig nicht aus, dass die im Berufskrankheitentatbestand genannten Kriterien erfüllt sind.

 
Praxis-Beispiel
  • Nr. 1101 – Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen
  • Nr. 1303 – Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol
  • Nr. 2108 – Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung
 

Rz. 80

Die Gefahrerhöhung kann aus gesicherten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft abgeleitet werden, wenn sich daraus Erkenntnisse über Art, Intensität und Dauer sowie sonstigen Rahmenbedingungen der Einwirkungen ergeben, die mit Wahrscheinlichkeit geeignet sind, die im Berufskrankheitentatbestand genannte Erkrankung hervorzurufen. Solche Erkenntnisse sind erst dann gesichert, wenn sie auf epidemiologischen Untersuchungen beruhen, die ihrerseits auf einer hinreichenden Anzahl von Studien basieren. Liegen solche Erkenntnisse vor und sind deren Anforderungen im Einzelfall erfüllt, so ist die Gefahrerhöhung zu bejahen.

2.6.1.2 Kausalität

 

Rz. 81

Festzustellen sind somit die besonderen Gegebenheiten im Einzelfall, nicht bloß die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe oder einer sonst wie gearteten Personengruppe.

 
Praxis-Beispiel

Hat ein Krankenpfleger sich eine Hepatitisinfektion zugezogen, so reicht für die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 3101 (Infektionskrankheiten) die Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Krankenpfleger nicht aus, dieses Kriterium zu erfüllen. Vielmehr ist weiter zu prüfen, ob er in seinem Arbeitsbereich regelmäßig Kontakt zu infektiösen Körperflüssigkeiten hatte, der Bezug auf die bei ihm aufgetretene Erkrankung ein im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erhöhtes Infektionsrisiko begründet. Dies ist z. B. bei einer Tätigkeit in einer Ambulanz für HIV-Patienten, in einer Intensiv- und Operationsabteilung eines Krankenhauses der Fall.

2.6.1.3 Erkrankung an einer solchen Krankheit

 

Rz. 82

Die im Einzelfall bei dem Versicherten festgestellte Erkrankung muss die Merkmale eines Berufskrankheitentatbestands erfüllen. Alle dort aufgeführten Krankheitsmerkmale müssen feststellbar sein. Benennt der Berufskrankheitentatbestand die Erkrankung nicht hinreichend konkret oder benennt er verschiedene Krankheitsbilder (z. B. Erkrankungen durch …), so muss die festgestellte Erkrankung zu den typischen Erscheinungsformen bei der im Einzelfall festgestellten schädigenden Einwirkung am Arbeitsplatz des Versicherten gehören. Dazu müssen die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Ursachenzusammenhang herangezogen werden.

2.6.1.4 Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit

 

Rz. 83

Zu prüfen ist, ob konkrete Anhaltspunkte feststellbar sind, die für eine Verursachung sprechen, die nicht im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Die Tatsachen, die diese Anhaltspunkte begründen müssen im Vollbeweis nachgewiesen sein. Die nicht versicherte Ursache muss hingegen nur möglicherweise ursächlich sein für die eingetretene Erkrankung. Dies reicht bereits aus, um die Vermutung nach Abs. 2 zu entkräften. Anschließend ist im Rahmen einer Abwägung der versicherten und nicht versicherten Ursachen die individuelle Kausalitätsprüfung durchzuführen. Danach muss die versic...

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