Rz. 31c

Einzelne Berufskrankheiten-Tatbestände geben mehr oder weniger genau an, wie die berufliche Belastung (mindestens) beschaffen sein muss:

 
Praxis-Beispiel
  • Berufskrankheit Nr. 2112: "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht"
  • Berufskrankheit Nr. 4104, 3. Alternative: "Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren (25 x 106 [(Fasern/m3) x Jahre])"
  • Berufskrankheit Nr. 4111: "Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m3) x Jahre]"

Das BSG (Urteil v. 30.1.2007, B 2 U 125/05 R) führt zur BK Nr. 4104 aus:

Legt der Verordnungsgeber wie im Fall der BK Nr. 4104 der Anlage 1 BKV die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit durch Vorgabe präziser Kriterien (hier: Einwirkung einer berufsbedingten Asbestfaserstaub-Dosis von mindestens 25 Faserjahren) selbst fest, so besteht, wenn die Kriterien erfüllt sind, die Vermutung, dass die betreffende Krankheit durch die berufsbedingte Schadstoffexposition verursacht wurde. Die Vermutung wird nicht dadurch widerlegt, dass der Versicherte auch außerberuflich Einwirkungen ausgesetzt war, die eine derartige Krankheit hervorrufen können.

Für die BK 2112 gilt Entsprechendes (Bieresborn, SGb 2016 S. 310, 320, mit Hinweis auf Hess. LSG, Urteil v. 18.11.2011, L 9 U 66/07, und BR-Drs. 242/09 S. 18 ff.).

Bei der BK Nr. 4111 weist das BSG (Urteil v. 15.9.2011, B 2 U 25/10 R) darauf hin, dass dieser Berufskrankheiten-Tatbestand die Dosis von 100 Feinstaubjahren nicht als harte Mindestdosis vorschreibt. Indem es dort heißt "in der Regel", ist der Wille des Verordnungsgebers dahingehend auszulegen, dass dem Tatbestand der Berufskrankheit ein wissenschaftlicher Erfahrungssatz zugrunde liegt, der jeweils anhand der neueren wissenschaftlichen Literatur und Entwicklungen zu verifizieren ist. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (BSG, Urteil v. 27.6.2006, B 2 U 20/04 R).

 

Rz. 31d

Vielfach sind die angegebenen Dosis-Wirkungsbeziehungen noch weitergehend interpretations- und auslegungsbedürftig:

 
Praxis-Beispiel

Berufskrankheit Nr. 2108: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können."

Diese Berufskrankheit wird besonders oft angeschuldigt und streitig gestellt. Dies hängt damit zusammen, dass das Schadensbild, die bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule, sich von der Volkskrankheit, verursacht durch chronisch-degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule, nicht unterscheidet. Ein eindeutig belastungstypisches Schadensbild gibt es nicht.

Die im Text der BK Nr. 2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in "extremer Rumpfbeugehaltung" nur ungenau und allenfalls nur richtungsweisend umschriebenen Einwirkungen werden durch das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) konkretisiert (vgl. Jäger/Luttmann/Bolm-Audorff/Schäfer/Hartung/Kuhn/Paul/Francks, ASUMed 1999 S. 101). Das BSG (Urteil v. 23.4.2015, B 2 U 10/14 R) hat das MDD als geeignete Grundlage für die Bestimmung der Einwirkungsvoraussetzungen dieser Berufskrankheit bezeichnet. Die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis des MDD sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen (BSG, a. a. O.).

Bei der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen gefährdenden Einwirkungen i. S. d. BK Nr. 2108 und der Bandscheibenerkrankung muss der aktuelle Erkenntnisstand in der medizinischen Wissenschaft zugrunde gelegt werden. Hierfür bieten die Konsensempfehlungen (Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Teil I, Trauma und Berufskrankheit 2005 S. 211 und Teil II, Trauma und Berufskrankheit 2005 S. 320) nach wie vor die geeignete Grundlage (BSG, a. a. O.).

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