Rz. 120b

Der Versicherungstatbestand des Abs. 2 Nr. 1 trägt wie die die Wegeunfallversicherung einführende Regelung des § 545a RVO i. d. F. v. 14.7.1925 (RGBl. 1925 S. 97) allein den Gefahren Rechnung, die sich während der gezielten Fortbewegung im Verkehr aus eigenem, gegebenenfalls auch verbotswidrigem Verhalten, dem Verkehrshandeln anderer Verkehrsteilnehmer oder Einflüssen auf das versicherte Zurücklegen des Weges ergeben, die aus dem benutzten Verkehrsraum oder Verkehrsmittel auf die Fortbewegung wirken (BSG, Urteil v. 13.11.2012, B 2 U 19/11 R). Nur für Schäden, die innerhalb dieses Schutzzweckes der Wegeunfallversicherung liegen, hat die gesetzliche Unfallversicherung einzustehen.

 
Praxis-Beispiel

1. Fall:

Ein Arbeitnehmer kommt mit seinem PKW auf dem Nachhauseweg von der versicherten Tätigkeit von der Straße ab und erleidet erhebliche Verletzungen. Ein technisches Versagen des Pkw, widrige Wetter- oder Straßenverhältnisse oder andere äußere Einflüsse auf die Fahrt konnten nicht festgestellt werden. Eine anschließend durchgeführte Alkoholkontrolle ergab zwar einen Blutalkoholgehalt von 2,2 ‰. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des nicht alkoholkranken Versicherten war jedoch nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen vor Antritt seiner Fahrt nicht aufgehoben.

Das BSG (a. a. O.) hat nicht auf den Blutalkoholgehalt und eine ggf. daraus resultierende Fahruntüchtigkeit, sondern auf den Schutzzweck der Wegeunfallversicherung abgestellt. Da keine Tatsachen festgestellt werden konnten, wonach das Abkommen des Versicherten von der Straße als Realisierung einer Verkehrsgefahr zu qualifizieren sei, lasse sich der Eintritt eines vom Schutzzweck der Wegeunfallversicherung erfassten Risikos nicht positiv feststellen.

2. Fall:

Der Arbeitnehmer fiel auf einem Bahnsteig des Hauptbahnhofs, an dem die Bahn zur Universität abfährt, um, prallte mit dem Kopf auf den Boden und erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma mit Hirnblutung. Weshalb er umfiel, war nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht feststellbar. Der Verletzte hatte selbst keine Erinnerung an den Vorfall.

Das BSG (Urteil v. 17.12.2015, B 2 U 8/14 R) hat ebenso wie zuvor das LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil v. 6.5.2014, L 15 U 563/12) das Vorliegen eines Wegeunfalls verneint. Der Verletzte habe zwar einen Unfall erlitten. Er war als Studierender i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. c grundsätzlich in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Ob er sich zum Zeitpunkt des Unfalls sich auf einem mit dieser versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weg nach und von dem Ort dieser Tätigkeit befand, wie es § 8 Abs. 2 Nr. 1 voraussetzt, hat das BSG offen gelassen. Damit ist bereits nicht die Handlungstendenz des Verletzten zur Zeit des Unfalls und der daraus folgende sachliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt. Selbst wenn dieser Zusammenhang unterstellt würde, so lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Unfall "infolge" des Zurücklegens dieses Weges eingetreten ist. Daher ist der Unfall dem Verletzten rechtlich nicht zuzurechnen. Das BSG stellt entscheidend darauf ab, dass nicht feststellbar ist, ob sich mit dem Aufprall auf den Bahnsteig eine Gefahr verwirklicht hat, die in den Schutzbereich der Wegeunfallversicherung fällt. Das BSG weist darauf hin, dass die Wegeunfallversicherung vor Gefahren für Gesundheit und Leben schützt, die aus der Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Fußgänger oder Benutzer eines Verkehrsmittels, also aus eigenem oder fremdem Verkehrsverhalten oder äußeren Einflüssen während der Zurücklegung des Weges hervorgehen. Solche äußeren Einwirkungen auf den Körper des Verletzten müssten als solche zunächst konkret festgestellt sein. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Den Nachteil aus der tatsächlichen Unaufklärbarkeit anspruchsbegründender Tatsachen hat nach den Regeln der objektiven Beweislast der Kläger, also der Verletzte, zu tragen.

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