Rz. 12

Ob eine Selbsttötung im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht hängt davon ab, welche Motive dafür maßgeblich waren. Eine psychische Erkrankung, z. B. eine Depression, stellt eine innere Ursache dar. Ist die Selbsttötung wesentlich darauf zurückzuführen, so fehlt die Unfallkausalität selbst dann, wenn sich diese am Arbeitsplatz zugetragen hat. Es kommt aber auch in Betracht, dass das Motiv für die Selbsttötung im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht oder ein Zusammenhang mit den Folgen eines früheren Arbeitsunfalls oder einer bereits bestehenden Berufskrankheit in Betracht kommt.

 

Rz. 13

 
Praxis-Beispiel

Der Versicherte befuhr zur üblichen Zeit den Weg zu seiner Arbeitsstätte. In einer langgezogenen Linkskurve fuhr sein PKW plötzlich ruckartig auf die Gegenfahrbahn und stieß dort mit einem LKW zusammen. Bremsspuren des PKW konnten ebenso wie technische Mängel am Fahrzeug nicht festgestellt werden. Bei der Benachrichtigung vom Tode ihres Ehemannes infolge des Zusammenpralls äußerte die Klägerin gegenüber dem Polizeibeamten, dass er am Vortag einen Versuch der Selbsttötung unternommen und einen erneuten Versuch angedroht habe; er wollte "gegen die Ecke fahren" (BSG, Urteil v. 30.4.1985, 2 RU 24/84).

Hier ist wertend zu entscheiden, ob das Handeln der betreffenden Person, hier der Weg zur Arbeitsstätte, zur versicherten Tätigkeit gehört (innerer Zusammenhang). Es ist eine wesentliche sachliche Verbindung zwischen der Verrichtung und der versicherten Tätigkeit erforderlich. Diese fehlt z. B., wenn ein Versicherter sich auf die Wegstrecke begibt, die er zwar auf dem Weg zur Arbeit gewöhnlich benutzt, er aber von vornherein nicht zur Arbeitsaufnahme fahren, sondern bei dieser Fahrt eine Selbstschädigung begehen will. Nicht anders ist es zu beurteilen, wenn er sich erst während der Fahrt entschließt, sich durch einen Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug zu töten; denn dann steht das Fahren auf die Gegenfahrbahn, um den Zusammenstoß herbeizuführen, nicht mehr im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, sondern ist wesentlich geprägt von dem Vorhaben, sich zu töten (vgl. auch BSG, Urteil v. 30.1.1970, 2 RU 175/67).

 

Rz. 14

 
Praxis-Beispiel

Der Versicherte befand sich in psychiatrischer Behandlung, erst stationär, dann ambulant. Er nimmt die Arbeit wieder auf. Nach Besichtigung einer 40 m hohen Plattform eines Krans durch einen Montagetrupp bleibt er dort allein zurück. 10 bis 20 Minuten später stürzt er von der Plattform ab und verletzt sich tödlich. Was er allein auf der Plattform tat, lässt sich nicht mehr klären (BSG, Urteil v. 4.9.2007, B 2 U 28/06 R).

Das BSG führt in dem Beispiel zugrundeliegenden Urteil aus: "Die Entscheidung hing davon ab, ob der Versicherte bei der Ausübung seiner Arbeitstätigkeit abgestürzt ist oder ob er sich in Selbsttötungsabsicht von der 40 Meter hohen Plattform des Krans gestürzt hat. Diese Frage hat sich im Berufungsverfahren nicht abschließend klären lassen. Das LSG hat zwar deutliche Anhaltspunkte für eine Selbsttötung gesehen; es hat aber nicht ausschließen können, dass der Getötete noch betriebliche Arbeiten im Zusammenhang mit der Einrichtung der Baustelle verrichtet hat und dabei abgestürzt ist. In einer solchen Situation trifft die Beweislast dafür, dass der Ehemann der Klägerin nicht bei der Arbeitstätigkeit verunglückt ist, sondern Selbstmord begehen wollte, den Versicherungsträger. Verunglückt ein Versicherter wie hier unter ungeklärten Umständen an seinem Arbeitsplatz, wo er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hatte, so entfällt der Versicherungsschutz nur dann, wenn bewiesen wird, dass er die versicherte Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt für eine private Tätigkeit unterbrochen oder beendet hatte. Dieser Beweis ist hier nicht erbracht."

 

Rz. 15

 
Praxis-Beispiel

Der 1907 geborene Versicherte war seit 1925 im Bergbau unter Tage tätig, zuletzt als Steiger. Seit 1953 klagte er über Beschwerden, die von der Lunge ausgingen, vor allem über Atemnot. Ab 1955 erhielt er eine Teil-Unfallrente, seit 1966 die Vollrente. Im Juli 1977 wurde der Versicherte bettlägerig. Die Beklagte gewährte ihm daraufhin ab dem 28.7.1977 Pflegegeld. Sein Hausarzt stellte bei ihm Depression, Herzinsuffizienz und allgemeine Körperschwäche fest. Am 3.3.1978 erhängte sich der Versicherte (BSG, Urteil v. 24.11.1982, 5a RKnU 3/82).

Während früher § 553 RVO den Versicherungsschutz ausdrücklich ausschloss, wenn der Versicherte selbst absichtlich den Arbeitsunfall verursacht, enthält das SGB VII keine derartige Regelung; § 101 Abs. 1 betrifft allein die Fremdverursachung. Jedoch liegt nach allgemeiner Auffassung bereits kein Arbeitsunfall vor, wenn der Betreffende sich selbst verletzt oder tötet. Grundsätzlich stellt die Selbstschädigung bzw. die Selbsttötung schon begrifflich keinen Unfall, d. h. ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, dar. Dieser Grundsatz erfährt jedoch dann eine Ausnahme, wenn das vorsätzliche Handeln auf Motive zurückzuführen ist, die ihrerseits du...

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