0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift entspricht § 639 RVO und ist zum 1.1.1997 in Kraft getreten. Für Versicherungsfälle, die sich vor diesem Zeitpunkt ereignet haben, gilt gemäß §§ 212, 214 weiterhin § 639 RVO.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Vorschrift korrespondiert unmittelbar mit § 108. Die dort geschaffene Bindungswirkung soll von allen Begünstigten erzeugt werden können, auch von denen, die nicht unmittelbar Beteiligte eines Verfahrens zur Feststellung eines Versicherungsfalls sind. Geschädigte können ggf. kein Interesse daran haben, ein Verfahren bezüglich eines Versicherungsfalls zu betreiben. Vielleicht deshalb, weil ihnen der in Aussicht stehende Schmerzensgeldanspruch lukrativer erscheint, als die zu erwartende Verletztenrente. Eine die Zivilgerichte nach § 108 bindende Entscheidung des Unfallversicherungsträgers könnte dann ohne ein eigenes Antragsrecht der privilegierten Schädiger nicht ergehen. § 108 Abs. 2 zwingt nur das Gericht zur Aussetzung des Verfahrens, nicht aber den Geschädigten zur Antragstellung beim Unfallversicherungsträger (vgl. Komm. zu § 108). Entscheiden sie sich dafür, keine entsprechenden Anträge zu stellen und wird kein Verfahren von Amts wegen betrieben, tritt eine Bindungswirkung nach § 108 mangels einer entsprechenden Entscheidung nicht ein und die Zivilgerichte müssten ggf. in eigener Zuständigkeit über das Vorliegen eines Privilegierungstatbestands entscheiden (Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 109 Rz. 2). Die Interessenlage der Schädiger ist regelmäßig eine andere. Den nach den §§ 104 bis 107 potenziell Haftungsprivilegierten wird deshalb ein eigenes, selbständig einklagbares Recht eingeräumt, die Anerkennung eines Versicherungsfalls zu betreiben (Hauck/Kranig, SGB VII, § 109 Rz. 1; Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 109 Rz. 1; ausführlich zur Bedeutung der Norm Seewald, SGB 1998 S. 281). Damit wird sichergestellt, dass die nach dem Gesetz begünstigten Schädiger auch eine Feststellung mit Bindungswirkung nach § 108 bezüglich ihrer Begünstigung erreichen können.

2 Rechtspraxis

 

Rz. 3

Haftungsprivilegierte können statt der eigentlich Berechtigten handeln, um eine i. S. d. § 108 bindende Entscheidung über ihre Privilegierung zu erreichen. Sie können also im Verwaltungsverfahren oder im sozialgerichtlichen Verfahren beantragen festzustellen, dass das Ereignis vom ... als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Hollo (in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 109 Rz. 6) weist zu Recht darauf hin, dass das Recht, eine bestandskräftige Entscheidung zum Vorliegen eines Versicherungsfalles herbeizuführen, nicht mit der Beteiligung am Verwaltungsverfahren oder mit der Beiladung zum gerichtlichen Verfahren zu verwechseln ist. Voraussetzung für die Geltendmachung ist allerdings, dass die eigentlich Berechtigten kein Verfahren auf Anerkennung des Versicherungsfalles betreiben und dass die möglichen Haftungsprivilegierten tatsächlich in Anspruch genommen werden.

2.1 Berechtigter Personenkreis

 

Rz. 4

Wenn Geschädigte, ihre Angehörigen oder Hinterbliebenen haftungsprivilegierte Personen nach §§ 104 bis 107 tatsächlich auf Ersatz ihres Schadens in Anspruch nehmen, können diese die Feststellung ihrer Privilegierung selbständig verlangen. Die Schädiger müssen tatsächlich in Anspruch genommen werden. Die bloße Erwartung der Inanspruchnahme reicht nicht aus (Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 109 Rz. 3; Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 109 Rz. 3; BSG, Urteil v. 28.10.1960, 2 RU 272/57). Das Recht, das Verfahren zu betreiben, besteht auch dann, wenn kein Ausschluss von Ansprüchen vorliegt (vgl. Komm. zu § 104), weil ein Wegeunfall oder vorsätzliches Handeln gegeben ist.

 

Rz. 5

Auch ein unmittelbar aus der Kfz-Haftpflichtversicherung auf Schadenersatz in Anspruch genommener Kfz-Haftpflichtversicherer ist in "analoger" Anwendung von § 109 Satz 1 berechtigt, die Rechte des verletzten Versicherten im eigenen Namen geltend zu machen (BSG, Urteil v. 27.3.2012, B 2 U 5/11 R, unter Bezugnahme auf BSG, Urteil v. 1.7.1997, 2 RU 26/96 zur Vorgängervorschrift des § 639 RVO). Das BSG begründet dies damit, dass der Geschädigte seine Schadensersatzansprüche aus einem Unfall im Straßenverkehr unmittelbar gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer geltend machen kann. Die Vorschrift des § 109 ermögliche die vorgreifliche Klärung der unfallversicherungsrechtlichen Vorfragen durch die sachnähere Verwaltung oder Gerichtsbarkeit. Dies entspreche der Interessenlage der haftungsprivilegierten Person an, aber auch den Interessen des Geschädigten. Sie trage dem Regelungszweck der §§ 115, 117 VVG (früher § 3 PflVG a. F.) Rechnung, wonach Unfallopfern ein zahlungskräftiger Schuldner verschafft wird (BSG, a. a. O.).

 

Rz. 6

Hingegen ist eine Privat-Haftpflichtversicherung – anders als eine auf gesetzlicher Versicherungspflicht beruhende und dem Geschädigten direkt haftende Kfz-Haftpflichtversicherung – nicht berechtigt, die einer Person, deren Haftung nach den §§ 104 bis 107 beschränkt ist, nach § 109 Satz 1 zustehenden Befugnisse auszuüben. Anders als gegenüber einem Kfz-Haftpflichtversicherer entsteht zwischen dem Geschädigten un...

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