Rz. 3

§ 73 findet ausschließlich im Rahmen der Durchführung eines Strafverfahrens, also zur Strafverfolgung Anwendung, nicht dagegen – im Gegensatz zu § 68 oder § 72 – im Rahmen der vorbeugenden Gefahrenabwehr. Auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten rechtfertigt keine Datenübermittlung nach § 73. Hier bleiben § 68 und ggf. § 71 Abs. 1 Nr. 6 zu prüfen.

Unter den Oberbegriff "Strafverfahren" fällt sowohl das strafprozessuale Vor- und Ermittlungsverfahren als auch das gerichtliche Hauptverfahren, nicht jedoch die Strafvollstreckung.

 

Rz. 4

Abgestellt wird auf Art und Schwere der verfolgten Straftat, wobei die zwei Alternativen des Abs. 1 und die "anderen Straftaten" nach Abs. 2 sich dadurch unterscheiden, dass sie ein unterschiedliches Ausmaß der übermittlungsfähigen Sozialdaten zur Folge haben.

 

Rz. 5

Grundlage für eine zulässige Datenübermittlung nach § 73 ist in jedem Einzelfall das Vorliegen eines richterlichen Beschlusses i. S. v. § 73 Abs. 3 (Rz. 14 ff.).

Obwohl der Wortlaut des § 73 nicht auf einen Einzelfall abstellt, sind Rasterfahndungen und Online-Zugriffe (vgl. § 79) im Rahmen dieser Vorschrift unzulässig, denn damit würde der Grundsatz des beim Sozialgeheimnis vorherrschenden Erforderlichkeitsprinzips verletzt. Seit 1.1.2002 bietet§ 68 Abs. 3 ausdrücklich für Zwecke der Rasterfahndung eine Übermittlungsgrundlage. Näheres hierzu kann der Komm. zu § 68 Abs. 3 entnommen werden.

Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass Einzelfälle gebündelt werden können. Wichtig ist nur, dass das Auskunftsersuchen bei allen betroffenen Personen, auf die es sich formal erstreckt, auch von erkenntnismäßigem Interesse ist.

 

Rz. 6

Zu den Übermittlungsempfängern gehören die mit Strafsachen befassten Gerichte und als Strafverfolgungsbehörden die Staatsanwaltschaften sowie die gesamte Polizei. Insbesondere zu erwähnen ist die Kriminalpolizei, die oftmals als "verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft" fungiert. Auch dem Bundeskriminalamt können bei Vorliegen der Voraussetzungen Sozialdaten nach § 73 offenbart werden.

2.1 Strafverfahren wegen eines Verbrechens oder einer sonstigen Straftat von erheblicher Bedeutung (Abs. 1)

 

Rz. 7

Unter Verbrechen sind Straftaten zu verstehen, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder mehr bedroht sind (§ 12 Abs. 1 StGB).

 

Rz. 8

Den Begriff "Straftat von erheblicher Bedeutung" gibt es im Strafrecht nicht. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzgebers zum Zweiten SGB-ÄndG von 1994 (vgl. BT-Drs. 12/6334 v. 2.12.1993 S. 10/11) handelt es sich um Straftaten, die nicht Verbrechen sind, aber z. B. einen beträchtlichen Schaden anrichten.

Als Beispiele führt der Gesetzgeber die Bereiche Wirtschaftskriminalität, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Missbrauch im Sozialbereich an und folgert, dass ein Katalog von Straftatbeständen nicht ausreichen würde, sondern weitere Kriterien berücksichtigt werden müssten. So könne z. B. der Tatbestand des Betruges sowohl Bagatellfälle als auch Schäden in Millionenhöhe umfassen.

 

Rz. 9

Zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen eines Verbrechens oder wegen einer sonstigen Straftat von erheblicher Bedeutung dürfen alle von der richterlichen Anordnung umfassten Daten zulässig übermittelt werden. Eine Ausnahme bilden die besonderen Kategorien personenbezogener Daten nach Art. 9 Abs. 1 DSGVO, zu denen die in der ergänzenden bzw. einschränkenden Regelung des § 76 Abs. 1 genannten besonders schutzwürdigen medizinischen Daten gehören. Die dort genannten Voraussetzungen gelten auch im Rahmen des § 73, d. h., eine Übermittlung dieser (medizinischen) Sozialdaten scheidet aus.

2.2 Strafverfahren wegen einer anderen Straftat (Abs. 2)

 

Rz. 10

Nach Abs. 2 sind alle anderen Straftaten gemeint, die nicht unter Abs. 1 fallen. Als Regelfall sind dies "Vergehen ohne erhebliche Bedeutung". Die Vergehen mit erheblicher Bedeutung fallen unter Abs. 1. Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe als einem Jahr oder mit einer Geldstrafe bedroht sind (§ 12 Abs. 2 StGB).

 

Rz. 11

Handelt es sich um eine "andere Straftat" i. S. v. Abs. 2, ist der Umfang der übermittlungsfähigen Sozialdaten begrenzt auf Namen und Vornamen, früher geführte Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, derzeitige und frühere Anschriften des Betroffenen, Namen und Anschriften der derzeitigen und früherer Arbeitgeber (§ 72 Abs. 1 Satz 2) sowie auf Angaben über erbrachte oder demnächst zu erbringende Geldleistungen.

 

Rz. 12

Mit "demnächst" ist der Fall gemeint, dass ein Leistungsantrag vorliegt, der Anspruch dem Grunde nach besteht, das Verfahren aber noch nicht beendet ist.

 

Rz. 13

Auskunft über erbrachte oder demnächst zu erbringende Geldleistungen kann immer nur der Sozialleistungsträger (§ 35 SGB I) erteilen, der für die Gewährung dieser Geldleistung zuständig und Adressat der richterlichen Anordnung ist. Dies gilt auch dann, wenn der Sozialleistungsträger Kenntnis über erbrachte Geldleistungen anderer Sozialleistungsträger haben sollte.

So haben die Rentenversicherungsträger und auch die Sozialhilfeträger oft Erkenntnisse über die Tatsache, dass von anderen Trägern weitere Sozialleistungen gewährt werden, z. B. Krankengeldzahlung...

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