0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist mit dem SGB X v. 18.8.1980 (BGBl. I S. 1469) ab 1981 in Kraft getreten und gilt in der Neufassung des SGB X v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130) mit Wirkung zum 1.1.2001.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Vorschrift entspricht inhaltlich weitgehend § 49 Abs. 1 VwVfG und § 131 AO. Sie regelt die grundsätzliche Zulässigkeit des Widerrufs rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakte (VA) für die Zukunft. Der Begriff des Widerrufs wird in Abgrenzung zum Begriff der Rücknahme verwandt. Vom Widerruf spricht der Gesetzgeber bei der Aufhebung von rechtmäßigen Entscheidungen. Von Rücknahme ist die Rede, wenn es um die Beseitigung rechtswidriger Bescheide geht. Bei § 48 spricht der Gesetzgeber vom Oberbegriff der Aufhebung, deren Unterfälle Widerruf und Rücknahme sind.

Die freie Verfügbarkeit der Behörde über den VA ist bei § 46 ausgeschlossen, wenn ein inhaltsgleicher VA erlassen werden müsste oder der Widerruf aus anderen Gründen ausgeschlossen ist. Die Bedeutung der Vorschrift in der Praxis ist daher sehr gering, da im Sozialrecht belastende Ermessensentscheidungen selten sind (die größte praktische Bedeutung dürfte dabei § 66 Abs. 2 SGB I zukommen, der die Folgen unzureichender Mitwirkung von Leistungsempfängern und Antragstellern regelt).

Von § 47 unterscheidet sich § 46 dadurch, dass § 47 auf begünstigende VA Anwendung findet und § 46 nur nicht begünstigende VA (zum Begriff vgl. Komm. zu § 44) betrifft. Hauptanwendungsfall des § 46 dürfte die Rücknahme eines VA aus Zweckmäßigkeitserwägungen sein (Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 46 Rz. 3). Wird ein Sachverhalt wegen einer inzwischen eingetretenen Veränderung der Sach- und Rechtslage, die im ursprünglichen VA noch nicht berücksichtigt werden konnte, in einem späteren VA neu geregelt, handelt es sich hierbei nicht um einen Widerruf nach § 46 (Schütze, a. a. O., § 46 Rz. 6 unter Hinweis auf Hess. LSG, Urteil v. 8.5.2012, L 3 U 51/12).

Die Sonderregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 3 BAföG schließt den Rückgriff auf die §§ 44 f. und damit auch auf § 46 aus (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 26.4.2017, 12 E 1041/16).

2 Rechtspraxis

2.1 Rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakt (Abs. 1)

 

Rz. 3

Die Anwendung der Vorschrift setzt voraus, dass ein nicht begünstigender VA und damit belastender VA vorliegt. Wie sich aus der Verwendung des Begriffs des Widerrufs ergibt, muss dieser VA (noch) rechtmäßig sein. War der VA bereits ursprünglich rechtswidrig und belastend, gilt § 44. Ist er durch Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse rechtswidrig geworden, gilt § 48. In der Rechtsprechung des BSG noch ungeklärt ist die Frage, ob die Vorschrift des § 46 eingreifen kann, wenn eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, diese aber nicht wesentlich i. S. d. § 48 ist (BSG, Urteil v. 19.12.2013, B 2 U 17/12 R). Teilweise wird angenommen, dass § 46 nur für den Widerruf von Ermessensentscheidungen gelte (Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 46 Rz. 3). Ob § 46 auch auf VA mit Dauerwirkung Anwendung finden kann, über die ohne Ermessen zu entscheiden war, und in deren rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen eine Änderung eingetreten war, die aber nicht rechtlich wesentlich ist, ist ebenfalls umstritten (BSG, a. a. O., m. w. N.). Da weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift einschränkende Vorgaben enthalten, dürfte eine Anwendung des § 46 zulässig sein (offengelassen von BSG, a. a. O., wie hier: Ricke, in: Kass-Komm SGB VII § 56 Rz. 43: a. A. Schütze, in: v. Wulffen, § 46 Rz. 6).

Nach Auffassung des SG Kassel (Urteil v. 11.06.2010, S 2 U 47/08, mit Anm. Dahm, jurisPR-SozR 23/2010 Rz. 3) soll trotz der Regelung in § 73 Abs. 3 SGB VII (höhere Verletztenrente nur bei Änderung der MdE um mehr als 5 %) eine wesentliche Änderung vorliegen, wenn eine Sehbehinderung auf einem Auge, die zuvor mit 20 % bewertet worden ist, sich so weit verschlimmert, dass sie der Blindheit auf einem Auge entspricht und daher mit 25 % zu bewerten wäre. Sein Ergebnis begründet das SG unter Hinweis auf den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz mit der Tatsache, dass bei einer sofortigen Erblindung eines Auges eine Verletztenrente nach einer MdE von 25 % gezahlt würde, während bei einer anfänglichen MdE von 20 % praktisch keine Chance bestünde, eine Rente in gleicher Höhe nach einer späteren Verschlimmerung zu erhalten. Dies sei eine "offensichtliche Gerechtigkeitslücke", die durch Anwendung des § 46 kompensiert werden müsse. Ähnlich wie bereits das Hess. LSG (Urteil v. 6.5.2012, 3 U 140/10), das das Urteil des SG Kassel aufgehoben hat, ist auch das BSG dieser Auffassung nicht gefolgt und hat erneut entschieden, dass eine Abänderung nach § 48 Abs. 1 nur bei einer Abweichung in der MdE um mehr als 5 % in Betracht kommt (BSG, Urteil v. 19.12.2013, B 2 U 17/12 R). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) liege nicht vor.

 

Rz. 3a

Der VA darf auch noch nicht durch Zeitablauf oder aus sonstigen Gründen erledigt sein (§ 39 Abs. 2), weil sonst der Widerruf für die Zukunft ins Leere ginge. Daher kann die Vorschr...

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