Rz. 3

Die Anwendung der Vorschrift setzt voraus, dass ein nicht begünstigender VA und damit belastender VA vorliegt. Wie sich aus der Verwendung des Begriffs des Widerrufs ergibt, muss dieser VA (noch) rechtmäßig sein. War der VA bereits ursprünglich rechtswidrig und belastend, gilt § 44. Ist er durch Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse rechtswidrig geworden, gilt § 48. In der Rechtsprechung des BSG noch ungeklärt ist die Frage, ob die Vorschrift des § 46 eingreifen kann, wenn eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, diese aber nicht wesentlich i. S. d. § 48 ist (BSG, Urteil v. 19.12.2013, B 2 U 17/12 R). Teilweise wird angenommen, dass § 46 nur für den Widerruf von Ermessensentscheidungen gelte (Freischmidt, in: Hauck/Noftz, SGB X, K § 46 Rz. 3). Ob § 46 auch auf VA mit Dauerwirkung Anwendung finden kann, über die ohne Ermessen zu entscheiden war, und in deren rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen eine Änderung eingetreten war, die aber nicht rechtlich wesentlich ist, ist ebenfalls umstritten (BSG, a. a. O., m. w. N.). Da weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift einschränkende Vorgaben enthalten, dürfte eine Anwendung des § 46 zulässig sein (offengelassen von BSG, a. a. O., wie hier: Ricke, in: Kass-Komm SGB VII § 56 Rz. 43: a. A. Schütze, in: v. Wulffen, § 46 Rz. 6).

Nach Auffassung des SG Kassel (Urteil v. 11.06.2010, S 2 U 47/08, mit Anm. Dahm, jurisPR-SozR 23/2010 Rz. 3) soll trotz der Regelung in § 73 Abs. 3 SGB VII (höhere Verletztenrente nur bei Änderung der MdE um mehr als 5 %) eine wesentliche Änderung vorliegen, wenn eine Sehbehinderung auf einem Auge, die zuvor mit 20 % bewertet worden ist, sich so weit verschlimmert, dass sie der Blindheit auf einem Auge entspricht und daher mit 25 % zu bewerten wäre. Sein Ergebnis begründet das SG unter Hinweis auf den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz mit der Tatsache, dass bei einer sofortigen Erblindung eines Auges eine Verletztenrente nach einer MdE von 25 % gezahlt würde, während bei einer anfänglichen MdE von 20 % praktisch keine Chance bestünde, eine Rente in gleicher Höhe nach einer späteren Verschlimmerung zu erhalten. Dies sei eine "offensichtliche Gerechtigkeitslücke", die durch Anwendung des § 46 kompensiert werden müsse. Ähnlich wie bereits das Hess. LSG (Urteil v. 6.5.2012, 3 U 140/10), das das Urteil des SG Kassel aufgehoben hat, ist auch das BSG dieser Auffassung nicht gefolgt und hat erneut entschieden, dass eine Abänderung nach § 48 Abs. 1 nur bei einer Abweichung in der MdE um mehr als 5 % in Betracht kommt (BSG, Urteil v. 19.12.2013, B 2 U 17/12 R). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) liege nicht vor.

 

Rz. 3a

Der VA darf auch noch nicht durch Zeitablauf oder aus sonstigen Gründen erledigt sein (§ 39 Abs. 2), weil sonst der Widerruf für die Zukunft ins Leere ginge. Daher kann die Vorschrift auf nach § 40 nichtige VA nicht angewandt werden (a. A. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 46 Rz. 3: "entsprechende Anwendung auf nichtige VA").

 

Rz. 4

Rechtmäßig bedeutet in diesem Zusammenhang materielle Rechtmäßigkeit bei Erlass des VA. Wie sich aus dem Ausschluss des Widerrufs bei Wiederholungsgebot ergibt, stehen nach § 41 geheilte oder nach § 42 unbeachtliche Form- oder Verfahrensfehler und offensichtliche Unrichtigkeiten nach § 38 oder ein nach § 43 umgedeuteter VA einem rechtmäßigen VA gleich, weil sich gerade auch in diesen Fällen ein Gebot zum Erlass eines verfahrensmäßig fehlerfreien VA ergeben würde. Die – analoge – Anwendung des § 46 auf von Anfang an rechtswidrige VA ist umstritten (dafür Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, § 46 Rz. 3). Neben der Regelung des § 44 besteht jedoch keine Notwendigkeit für die Anwendung des § 46 auf Fälle rechtswidriger nicht begünstigender VA. Zudem spricht der Wortlaut der Vorschrift gegen eine Anwendung auf von Anfang an rechtswidrige VA. Lässt sich jedoch nicht klären, ob der aufzuhebende VA von Anfang an rechtswidrig war, kommt eine Anwendung des § 46 in Betracht (Schütze, a. a. O.; Freischmidt, in: Hauck/Noftz, § 46 Rz. 6).

 

Rz. 5

Sind mit einem VA begünstigende und belastende Folgen untrennbar (VA mit Mischwirkung, oft auch als VA mit Doppelwirkung bezeichnet) verbunden, ist Ansatz für die Beurteilung zunächst der Verfügungssatz selbst. Ergibt sich hier kein eindeutiges Bild im Sinne einer Belastung oder Begünstigung, kann die Frage nach der belastenden Wirkung grundsätzlich nach der subjektiven Perspektive des Adressaten beurteilt werden (str., vgl. Näheres hierzu in der Komm. zu § 45 Rz. 7), so dass der Widerruf nach § 46 zu erfolgen hat, wenn sich der abzuändernde VA aus Sicht des Adressaten aufgrund seiner konkreten Interessenlage als nicht begünstigend darstellt und § 47, wenn er aus der subjektiven Perspektive begünstigend wirkt (a. A. Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, § 46 Rz. 4: bei untrennbarer Mischwirkung immer nur § 47 anwendbar). Ein begünstigender VA liegt aber regelmäßig dann vor, wenn ein Antr...

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