0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift trat mit dem SGB X v. 18.8.1980 (BGBl. I S. 1469) ab 1981 in Kraft und gilt in der Neufassung des SGB X v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130) mit Wirkung zum 1.1.2001.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

§ 28, der im VwVfG keine entsprechende Vorschrift aufweist und für alle Sozialleistungsbereiche gilt, stellt sicher, dass ein Berechtigter einen Antrag auf eine Sozialleistung (Dienst-, Sach- und Geldleistungen nach § 11 SGB I) nachträglich stellen kann, wenn er darauf in Erwartung eines positiven Bescheids auf eine andere Sozialleistung verzichtet hat. Sinn und Zweck der Regelung ist es, Nachteile zu vermeiden, die dadurch entstehen, dass die beantragte Leistung abgelehnt wurde und die Leistung von einem anderen Leistungsträger, die stattdessen hätte in Anspruch genommen werden können, wegen des Verstreichens der Antragsfrist oder des fehlenden Antrags nicht für einen abgelaufenen Zeitraum gewährt werden kann. Die Vorschrift bewirkt im Ergebnis in 2 Spezialfällen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie dient damit dem Schutz des Leistungsberechtigten. Gleichzeitig verhindert die Regelung die Stellung von (unnötigen) Doppelanträgen. Die Vorschrift ist nachrangig, soweit im Wege der Auslegung davon auszugehen ist, dass der Antrag auf eine Sozialleistung gleichzeitig auch den Antrag auf die alternative Sozialleistung enthält (BSG, Urteil v. 19.10.2010, B 14 AS 16/09 R, SozR 4-4200 § 37 Nr. 3). Im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe ist § 14 SGB IX vorrangig.

Die Regelung mildert Leistungsnachteile auch in den Fällen, in denen ein Sozialleistungsberechtigter deshalb auf die zunächst in Betracht kommende Antragstellung verzichtete, weil ihm die um Beratung angegangene Behörde eine unrichtige Auskunft gegeben hatte. Eine wiederholte, wirksam nachgeholte Antragstellung schafft hierbei einen gewissen Ausgleich, zumal sich ein Amtshaftungsprozess oder sozialrechtlicher Herstellungsanspruch oft nur schwer realisieren lässt.

Die Vorschrift bezieht sich nur auf die Rückwirkung einer wiederholten Antragstellung, bewirkt jedoch nicht die Erfüllung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen (z. B. Arbeitslos- oder Arbeitsunfähigkeitsmeldung).

2 Rechtspraxis

2.1 Voraussetzungen

 

Rz. 3

§ 28 unterscheidet 2 Fälle. Voraussetzung für eine nachträgliche Antragstellung nach Satz 1 ist, dass der Leistungsberechtigte von der Stellung eines Antrages auf eine Sozialleistung deshalb abgesehen hat, weil er einen Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht hatte. Geltend gemacht bedeutet entsprechend einem Antrag im weitesten verfahrensrechtlichen Sinne jede Erklärung, durch die jemand eine bestimmte Sozialleistung begehrt. Weiter ist es notwendig, dass die andere Sozialleistung von der Behörde versagt, d. h. abgelehnt wurde oder nach § 50 zu erstatten ist. Es reicht auch aus, wenn der Antrag auf eine Sozialleistung nach Beginn des Verwaltungsverfahrens vom Berechtigten wieder zurückgenommen worden ist (Mutschler, in: KassKomm. SGB X, § 28 Rz. 3; Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, § 28 Rz. 8; Franz, in: jurisPK-SGB X, § 28 Rz. 13; a. A. Vogelsang, in: Hauck/Haines, SGB X, § 28 Rz. 5). Die Fallgestaltung, in der im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Bewilligung einer laufenden Sozialleistungen begehrt wird, wird ebenfalls erfasst (BSG, Urteil v. 19.10.2010, B 14 AS 6/09 R, SozR 4-4200 § 37 Nr. 3). Der Berechtigte muss außerdem willentlich die Antragstellung unterlassen haben, weil er von der Bewilligung der anderen Sozialleistung ausging; insoweit muss ein Ursachenzusammenhang bestehen.

 

Rz. 4

Voraussetzung für eine nachträgliche Antragstellung nach Satz 2 ist einmal, dass der Antrag nicht wegen der zunächst geltend gemachten Leistung sondern aus Unkenntnis über die Anspruchsvoraussetzungen nicht gestellt wurde und zudem ein Nachrangigkeitsverhältnis besteht. Aus Unkenntnis unterlassen ist die Antragstellung, wenn die mangelnde Kenntnis der Anspruchsvoraussetzung ursächlich für die unterbliebene Antragstellung war. An den Nachweis der Unkenntnis über die Anspruchsvoraussetzungen sind dabei keine besonders strengen Anforderungen zu stellen; denn regelmäßig wird ein Leistungsberechtigter die ihm primär zustehende Leistung beanspruchen. Ferner muss die durch den späteren Antrag verlangte Sozialleistung gegenüber der im ersten Antrag begehrten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, subsidiär, d. h. nachrangig sein.

Nachrangig ist eine Leistung im Verhältnis zu einer anderen Leistung dann, wenn ein Anspruch auf sie nicht entstehen kann, weil ein Anspruch auf die andere Leistung besteht. Beispielsweise ist Arbeitslosengeld II gegenüber Arbeitslosengeld I nachrangig, ebenso sind Leistungen nach dem WoGG gegenüber Leistungen nach dem SGB II nachrangig. Satz 2 erfordert stets, dass die zunächst beantragte, an sich vorrangige Leistung abgelehnt wurde bzw. zu erstatten ist (BSG, Beschluss v. 24.9.2012, B 14 AS 36/12 B).

 

Rz. 5

§ 28 findet nur in den Fällen Anwendung, in denen die beantragte Sozialleistung (bzw. ihr rechtzeitiger Beginn) wegen Fristversäumnis nicht mehr gewährt wer...

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