0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 72 ist mit der Einführung des SGB IV durch das Gesetz v. 23.12.1976 (BGBl. I S. 3845) am 1.7.1977 in Kraft getreten. Mit dem Gesetz v. 12.11.2009 (BGBl. I S. 3710) wurde das Vierte Buch Sozialgesetzbuch in der seit dem 1.9.2009 geltenden Fassung wiederholt neu bekannt gemacht. Die in Abs. 1 genannten grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der vorläufigen Haushaltsführung blieben seit dem Inkrafttreten des SGB IV unverändert. Die Verpflichtung zur Anzeige des Vorstandsbeschlusses und die bei einzelnen Versicherungsträgern erforderliche Genehmigung des Vorstandsbeschlusses in Abs. 2 wurde danach in zwei Gesetzesänderungen modifiziert (Anpassung an organisatorische Veränderungen bei der Deutschen Rentenversicherung Bund; Ergänzung der erforderlichen Genehmigung für die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau). Diese letzte Rechtsänderung erfolgte durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze v. 15.4.2015 (BGBl. I S. 583) mit Wirkung zum 22.4.2015.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

In Anlehnung an Art. 111 Abs. 1 GG trifft die Vorschrift an die Besonderheiten der gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte, der sozialen Pflegeversicherung sowie der Arbeitsförderung angepasste Regelungen, die den jeweiligen Vorstand ermächtigen, im begrenzten Maß Ausgaben zuzulassen, wenn der Haushaltsplan entgegen §§ 70, 71, 71a, 71d, 71e oder 71f zu Beginn des Haushaltsjahres noch nicht in Kraft getreten ist. Dieses sog. Nothaushaltsrecht stellt sicher, dass die Versicherungsträger bestehende rechtliche Verpflichtungen und gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben erfüllen können sowie Bauten und Beschaffungen fortsetzen können, wenn dafür in früheren Haushaltsjahren bereits Beträge bewilligt worden sind. § 72 ersetzt vor dem Inkrafttreten des Haushaltsplans die noch fehlende Bedeutung und Wirkung des Haushaltsplans nach § 68 Abs. 1 Satz 2.

2 Rechtspraxis

2.1 Voraussetzungen, Verfahren und Ermächtigung des Vorstands (Abs. 1)

 

Rz. 3

Voraussetzung für die Zulassung der vorläufigen Haushaltsführung durch den Vorstand ist, dass der Haushaltsplan nicht rechtzeitig zum Beginn des Haushaltsjahres in Kraft treten konnte. Grund dafür kann sein, dass

  • der Haushaltsplan entgegen dem Grundsatz der Vorherigkeit vom Vorstand verspätet aufgestellt wurde oder, bei den nach § 70 dazu verpflichteten Versicherungsträgern, verspätet der Aufsichtsbehörde bzw. der Bundesregierung vorgelegt wurde,
  • Rückmeldungen der Aufsichtsbehörde bzw. der Bundesregierung nicht rechtzeitig beim Versicherungsträger eingingen oder deren Beanstandungen von der Vertreterversammlung bzw. vom Verwaltungsrat bei der Feststellung des Haushaltsplans nicht berücksichtigt wurden,
  • die Vertreterversammlung bzw. der Verwaltungsrat die Feststellung nicht rechtzeitig behandelt hat,
  • der festgestellte Haushaltsplan von den betroffenen Versicherungsträgern (Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, Bundesagentur für Arbeit, Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, Unfallversicherung Bund und Bahn) verspätet der genehmigenden Stelle (Bundesregierung, Bundesversicherungsamt) vorgelegt wurde oder die Genehmigung von dort für einzelne Ansätze versagt, verspätet oder unter Bedingungen und mit Auflagen erteilt wurde.

Im Falle einer Nichtgenehmigung oder einer Beanstandung ist das Verfahren nach § 89 mitsamt vorangehender Beratung und Fristsetzung mit Verpflichtungsbescheid zu beachten. Dabei wird von der Aufsichtsbehörde neben einer individuellen Beratung auch verlangt, dem Versicherungsträger mögliche Maßnahmen aufzuzeigen, wie er die Rechtsverletzung beheben kann (vgl. BSG, Entscheidung v. 20.6.1990, 1 RR 4/89). Sofern Klage gegen die Aufsichtsmittel erhoben wurde, hat diese nach § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung und der Haushaltsplan wird wirksam (sofern die aufschiebende Wirkung nicht aufgrund besonderer Regelungen entfällt, § 86a Abs. 2 SGG).

 

Rz. 4

Liegt die Notwendigkeit der vorläufigen Haushaltsführung vor, hat der Vorstand einen Beschluss über die vorläufige Haushaltsführung im Einklang mit der vorgesehenen Ermächtigung zu fassen. Eine Beteiligung der Vertreterversammlung bzw. des Verwaltungsrats sieht § 72 nicht vor. Fasst der Vorstand den erforderlichen Beschluss nicht, haben die Aufsichtsbehörde oder durch die Aufsichtsbehörde Beauftragte den Umfang der vorläufigen Haushaltsführung zu regeln (§ 37). Für die Bundesagentur für Arbeit gilt § 37 nicht (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2). Die vorläufige Haushaltsführung gemäß § 72 zuzulassen, ist bei der Bundesagentur für Arbeit eine Aufgabe der Leitung, die stets die Beschlussfassung durch den Vorstand erfordert (Geschäftsordnung des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit: § 13 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Buchst. e und § 7).

2.2 Umfang der vorläufigen Haushaltsführung

 

Rz. 5

Da sich die vorläufige Haushaltsführung nur auf die Ausgaben bezieht, ist eine vorläufige Haushaltsführung für die Verpflichtungsermächtigungen und die Einnahmen nicht vorgesehen.

 

Rz. 6

Die vorläu...

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